Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
Ich trottete in den Raum, den ich inzwischen als mein Zimmer betrachtete, schloss die Tür, streifte meine Kleider ab, schlüpfte in das Nachthemd und machte es mir auf der klumpigen Couch bequem.
Ich fuhr jäh aus dem Schlaf. Zuerst hatte ich keine Ahnung, wo ich mich befand und was los war. Es war mitten in der Nacht. Ich starrte angestrengt ins Dunkel, tastete mit den Augen den Raum ab und kämpfte gegen den Schlafnebel an. Bleiches Licht von einer Straßenlaterne draußen vor dem Fenster malte einen fahlgelben Streifen an die Decke. Es roch leise nach Tortilla-Bratfett. Dann fiel es mir langsam wieder ein. Raymond. Hatte mich ein Geräusch geweckt? Wenn da etwas gewesen war, musste ich es wohl in einen wirren Traum eingearbeitet haben, der beim Aufwachen verflogen war. Nur das Gefühl war noch da — schwer und beängstigend. Mir war, als sei da jemand im Zimmer. Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Ich unterteilte mein Gesichtsfeld in Planquadrate, die ich nacheinander absuchte. Mein Herz stockte und fing dann an zu rasen. Die Zimmertür schien einen kleinen Spalt offen. Luis? Ich strengte meine Augen noch mehr an. War da ein Schatten vor dem helleren Anthrazit des Flurs? Die Tür öffnete sich, ein undeutlicher Streifen, der sich verbreiterte. Ich flüsterte: »Was wollen Sie?«
Schweigen.
Ich hörte Tapsen. Etwas Metallenes schleifte über den Boden. Meine Angst loderte jäh auf. Der Hund. Mir fiel wieder ein, wie er auf dem Lederstück zwischen seiner Gliederleine und der Befestigungskette herumgekaut hatte. Der Himmel mochte wissen, wie lange er schon frei in der Wohnung herumlief. Ich sah das Glimmen der dunklen Augen. Er hielt den Kopf gesenkt. Ich hatte keine Waffe in Reichweite, nichts, womit ich mich hätte verteidigen können. Er schien nach Menschengeruch zu wittern. Wenn ich ganz still liegen blieb, würde er vielleicht das Interesse verlieren und wieder kehrtmachen und zu Raymond und Bibiannas Zimmer marschieren. Ich hielt den Atem an. Der Pitbull kam auf meine Couch zu. Ich hörte das Tapp-Tapp seiner Krallen auf den Holzdielen. Ich lag auf der rechten Seite, das Gesicht fast auf einer Höhe mit seinem. Ich hatte den rechten Arm unterm Kopf, aber der linke baumelte über die Kante, weil ich ihn nirgends mehr hatte unterbringen können. Der Hund reckte die Schnauze, bis seine ledrige Nase die Finger meiner linken Hand berührte. Ich fühlte seine Bartborsten über mein Handgelenk streifen. Ich verharrte reglos. Schließlich begann ich, im Zeitlupentempo meine Hand zu entfernen. Ich hörte ihn tief und kehlig knurren. Ich erstarrte und wagte nicht, meine Fingerspitzen noch weiter zurückzuziehen. Er schob sich näher heran, bis seine Schnauze schließlich auf der Couchkante ruhte, genau vor meinem Mund. Er gab einen winselnden Laut von sich. In meinem Kopf herrschte absolute Leere. Ein paar Sekunden später war er zu mir auf die Couch geklettert. Er drängte mich gegen die Rückenpolster und nagelte mich mit seinen knochigen Vorderbeinen fest. Ich legte ihm vorsichtig die Finger zwischen die Ohren. Er leckte meine Hand.
»Ich dachte, du magst es nicht, wenn man dich am Kopf anfasst«, sagte ich entrüstet. Dem war ganz offensichtlich nicht so. Ich begann, den einen seidigen Ohrlappen zu streicheln. Der Hund hechelte selig. Bald umfing mich seine Körperwärme von der Brust bis zu den Knien. Ich wagte nicht, mich zu beschweren, obgleich er eine üppige Wolke Hundegeruch verbreitete. Das war das erste Mal, dass ich einen Bettgenossen hatte, der nach warmem Schwein roch.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell man sich an fremde Umgebungen und neue Situationen gewöhnt. Am Morgen fühlte ich mich in der Wohnung schon ganz heimisch. Bibianna lieh mir ein sauberes T-Shirt zu meinem roten Minirock. Zum Frühstück machte uns Luis Bohnen-und-Käse-Burritos, die wir mit Pepsi hinunterspülten. Inzwischen war die penible Seite meiner Person voll zum Durchbruch gekommen. Ich trieb einen Schwamm und einen Rest Scheuerpulver auf und nahm das Bad in Angriff. Ich schrubbte den Boden, das Waschbecken, das Klo, die Duschwanne und die schmierigen Kacheln in der Duschecke. Dann überzeugte ich Bibianna, dass sie dafür sorgen sollte, dass die Mülltüten aus der Küche verschwanden. Ich scheuerte die Spüle, den Herd und die Arbeitsflächen. Perro Pitbull war wieder auf seinem Platz bei der Tür und hielt Wache. Nach unserem One-Night-Stand tat der Mistkerl doch tatsächlich so, als
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