Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
grau von Stoppeln. Er trug jetzt leger geschnittene, aber gutsitzende Hosen und ein kurzärmeliges Seidenhemd in einem Blaugrünton, der seine Augen sehr warm wirken ließ. In Bekleidungsfragen war sein Geschmack eindeutig besser als in Sachen Einrichtung. Ich dachte, dass er wohl ganz schön Geld machen musste, was ja auch erklärlich war, wenn Santos’ Behauptungen stimmten. Raymonds Hals ruckte. Er warf den Kopf herum und schrie etwas, wobei er sich die Hand vor den Mund hielt, als müsste er husten.
Ich hörte die Tür des großen Schlafzimmers aufgehen. Gleich darauf kam Bibianna den Flur entlang. Sie war barfuß und trug ein kurzes, weißes Seidenhemd, das ihre Haut im Kontrast noch dunkler wirken ließ. Sie blieb in der Tür stehen, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete mich interessiert. Ihr Blick war nicht recht zu deuten. Sie hatte die Haare auf dem Kopf zu einem schlampigen Knoten geschlungen. Ihre Augen wanderten zu Raymond hinüber. »Wo ist das Telefon?«
»Kaputt.«
»Das stimmt nicht. Du hast ja vorhin noch telefoniert.«
»Jetzt ist es kaputt. Du brauchst es doch nicht.«
»Ich will meine Mutter anrufen.«
»Das hat Zeit«, sagte er.
Sie stieß sich am Türpfosten ab, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand den Gang hinunter in Richtung Wohnzimmer.
Er starrte ihr nach. Ein kaum merklicher Tick zuckte um seinen Mund. Er rollte den Kopf und bewegte den rechten Arm im Schultergelenk, um die Spannung zu lösen. Der arme Mann musste ja abends völlig erschöpft sein. Er schüttelte den Kopf. »Ich begreif das nicht. Ich hab’ doch alles für sie getan. Ich kauf’ ihr Kleider. Ich führ’ sie schick aus, beschaff ihr alles, was sie will. Sie braucht doch keinen Finger krumm zu machen. Nicht mal arbeiten muss sie. Ich hab’ eine große Kreuzfahrt mit ihr gemacht. Hat sie Ihnen davon erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Fragen Sie sie mal. Sie wird’s Ihnen sagen. Da gab es vielleicht ein Essen! Einen Schwan aus Eis, bestimmt zwei Meter groß, und einen Sektbrunnen. Und die Wohnung hab’ ich ihr gekauft. Und wissen Sie, was sie sagt? Sie meint, das ist alles Schrott. Sie hasst das Apartment, sagt sie. Was ist denn bloß mit ihr los?« Seine Ratlosigkeit war mit Aggressivität untermischt. »Sagen Sie mir doch, was ich falsch gemacht habe. Sagen Sie mir, was ich noch tun soll.«
»In Beziehungsfragen bin ich nicht gerade eine Expertin.«
»Wissen Sie, was das Problem ist? Ich bin zu nett. Das ist es. Ich bin zu gut zu dieser Frau, aber ich kann nicht anders. So bin ich nun mal. Wir hatten schon alles für die Hochzeit vorbereitet. Hat sie Ihnen davon erzählt?«
»Ich glaube, Sie haben schon davon gesprochen.«
»Sie hat mir das Herz gebrochen, und ich kapier’ nicht, warum...«
»Also, eins kann ich Ihnen sagen, Raymond. Sie dürfen sich nicht an jemanden klammern, der gar nicht hier sein will.«
»Ist das so?« Er musterte mich so eindringlich, dass ich einen Moment lang schon dachte, ich könnte ihn vielleicht wirklich überreden, Bibianna loszulassen. Er schob die Hände in die Hosentaschen, und sein Gesicht wirkte im Dämmerlicht, als ob er vor sich hin brütete.
»Raymond?«, rief Bibianna aus dem Wohnzimmer. »Was ist das?«
»Was?«
Einen Augenblick später kam sie wieder herein, in der Hand ein Schnappmesser mit einem Horngriff. Die Klinge war dunkel von getrocknetem Blut.
Er fixierte das Messer. »Wo hast du das her?«
»Es lag in der Küche auf der Arbeitsplatte. Es ist deins. Ich kenne es.«
Er ignorierte ihre ursprüngliche Frage und streckte nur die Hand aus. Ich dachte an die zerschmetterten Spiegelkacheln und das kaputte Stuhlbein und die Blutspritzer an der Wand. Widerstrebend legte Bibianna das Messer in seine Hand. Sie schien beunruhigt. Das Blatt hatte sich erneut gewendet. Er drückte auf einen Knopf in dem Messergriff, und die Klinge verschwand wieder in ihrem Schlitz. Er steckte das Ding in die Hosentasche. Seine Augenlider zuckten. Sein Kopf ruckte zur Seite, und sein Mund öffnete sich weit.
Sie beobachtete ihn misstrauisch. »Wo kommt das ganze Blut her?«
»Zieh dich an. Wir gehen essen. Ihr können wir ja etwas mitbringen«, entgegnete er.
Mich packte freudige Erregung. Ich sehnte mich so sehr nach einem unbewachten Stündchen!
»Wieso kann Hannah nicht mitkommen? Sie ist sicher auch schon halb tot vor Hunger.«
»Sie kann sich ja solange schon mal was von dem Chili nehmen. Auf dem Herd steht ein großer Topf.«
Ich sagte so
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