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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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würde er mich nicht kennen. Sobald ich ihn ansah, knurrte er drohend. Ich erwartete ja nicht unbedingt, dass er mir die Füße leckte, aber ein kleines Zeichen des Wiedererkennens hätte meinem geschundenen Ego gut getan.
    Um neun verließ Raymond ohne ein erklärendes Wort die Wohnung. Bibianna ging wieder ins Bett. Ich fragte mich, ob sie sich wohl mit Tabletten oder Marihuana zudröhnte und sich in den Schlaf flüchtete, um sich Raymonds sexuellen Forderungen zu entziehen.
    Luis überraschte mich damit, dass er die Küche übernahm. Offenbar befand er, dass es Zeit zum Kochen war. Vielleicht hatte es ihn ja inspiriert, dass ich den ganzen verkrusteten Dreck von der Herdoberfläche abgekratzt und mit einem Messer die klebrige Schmiere aus den Kachelritzen gepult hatte. Von richtigem Geschirr schien hier noch niemand gehört zu haben. Ich hatte Riesenstapel von billigen Papptellern und zwölf Garnituren Plastikbesteck weggeschmissen. Den noch verbleibenden Plunder — Plastikgläser und verkrustete Küchenutensilien — hatte ich zum Einweichen in die Spüle gelegt, in Wasser, das ich zuvor auf dem Herd heiß gemacht hatte. Jetzt machte sich Luis an die Arbeit. Ich fragte mich flüchtig, ob er insgeheim wohl auch Levitationsübungen veranstaltete, um nicht barfuß auf den schmierigen Badfußboden treten zu müssen. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, blieb ich da. Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte und sah ihm zu.
    Bislang verborgene Seiten seiner Person wurden jetzt offenbar. Alles, was er tat, war bedacht und präzise. Er schälte eine Zwiebel. Er zerquetschte Knoblauchzehen mit der Breitseite eines Hackmessers und pulte die Häutchen ab wie Insektenpanzer. Er grillte Chili-Schoten an, putzte und entkernte sie und schnitt sie klein. Der Geruch war scharf, aber appetitanregend. Er war so konzentriert und so völlig von seinem Tun absorbiert wie eine Frau beim Schminken. Könnertum hat mich schon immer fasziniert. Er öffnete eine große Dose mit Tomatenstücken und kippte den Inhalt in den von mir gescheuerten Topf. Dann gab er die Zwiebeln, den Knoblauch und die Chilischoten dazu. Sein Vorgehen hatte eine gewisse methodische Eleganz. Es war ganz offensichtlich, dass er diese Handgriffe gelernt hatte, aber wer hatte sie ihm beigebracht? Ein köstlicher Duft stieg auf.
    »Was wird das?«, fragte ich.
    »Enchilada-Soße.«
    »Riecht toll.« Ich lehnte an der Arbeitsplatte und überlegte mir, wie ich meine nächste Frage verpacken sollte. »Was wird jetzt eigentlich mit Chago? Gibt es kein Begräbnis?«
    Luis widmete sich ganz seinem Kochtopf, um mich nicht ansehen zu müssen. »Raymond hat mit den Bullen geredet. Sie geben die Leiche nicht frei, bevor sie nicht mit der Autopsie fertig sind. Vielleicht morgen, aber genau wollten sie’s nicht sagen.«
    »Hat er noch mehr Brüder?«
    »Juan und Ricardo. Die waren gestern hier.«
    »Und die Eltern?«
    »Sein Vater wurde verknackt wegen Kindesmisshandlung. Im Gefängnis haben ihn die andern dann umgebracht, als sie gehört haben, was er mit Raymond gemacht hat.«
    »Und was war das?«
    Luis sah auf. »Er redet nicht drüber, und ich frag’ nicht.« Er wandte sich wieder seinem Kochtopf zu und ließ hypnotisch den Kochlöffel kreisen. »Seine Mutter ist abgehauen, als er sieben oder acht war.«
    »Ist er der Älteste?«
    »Von den Jungen. Er hat noch drei ältere Schwestern, die ihn auf den Tod hassen. Sie denken, das mit den Eltern war seine Schuld.«
    »Was für eine glückliche Kindheit«, sagte ich. »Wie lange kennen Sie ihn denn schon?«
    »So sechs, acht Monate. Ich hab’ ihn über Jesus kennen gelernt. Das ist einer von seinen Leuten.«
    Bibianna erschien in der Küchentür, eine Decke um die Schultern gelegt wie eine Indianerin. »Raymond schon wieder da?«
    Luis schüttelte den Kopf.
    Sie verschwand wieder, und kurz darauf hörte ich die Dusche rauschen. Luis ließ die Soße auf dem Herd vor sich hin köcheln und schickte sich an, mit dem Hund hinauszugehen. Als er die Kette anhob, bemerkte er das durchgekaute Lederstück. Ich hörte ihn ein besorgtes »Scheiße« murmeln. Ich hielt den Mund, in der Hoffnung, der Hund würde es mir mit einer gewissen Loyalität danken. Luis befestigte die Leine auf irgendeine andere Weise an Perros Halsband, und beide verließen die Wohnung.
    Bibianna erschien wieder, diesmal vollständig angezogen. Sie fand einen eselsohrige Packen Spielkarten und hockte sich neben dem Couchtisch auf den Boden, um eine Patience zu

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