Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
nicht. Dann müssen wir so tun, als ob. Ich möchte, dass wir so oft wie möglich zu Hause essen. Während ich weg bin, bleiben Sie bitte hier und schließen die Tür ab. Morgen früh installieren wir zuallererst die Alarmanlage. Ich will nicht, dass Sie ausgehen. Und das Telefon lassen Sie klingeln. Haben Sie einen Anrufbeantworter?«
Ich nickte.
»Dann lassen Sie ihn die Gespräche aufnehmen.«
»Ich kann hier bleiben, wenn Sie wollen«, sagte Henry.
Dietz sah mich an, um festzustellen, ob es mir recht war. Der Mann war sehr hellhörig, das musste man ihm lassen.
»Ich möchte ein bisschen für mich sein«, sagte ich. Wer weiß, wann ich je wieder allein sein konnte.
Dietz war offensichtlich bereit, auf meine Bitte einzugehen. Henry erbot sich, für uns zu kochen, aber danach war mir ganz und gar nicht zu Mute. Ich war müde. Mir tat alles weh. Ich war gereizt. Ich wollte nur schnell ein paar Bissen essen und dann ins Bett. Mein kulinarisches Repertoire beschränkte sich auf Sandwichs mit Erdnussmus, Gewürzgurken und hart gekochte Eier mit Unmengen von Mayonnaise und Salz. Ich wollte Dietz später nach seinen Spezialitäten fragen. Irgendetwas würde er doch wohl zu Stande bringen.
Ich duschte, während Dietz unterwegs war, und zu spät fielen mir alle möglichen Dinge ein, die zu besorgen waren. Wein zum Beispiel. Rasch wusch ich mir das Haar, war kribbelig und zerstreut. Das Geräusch fließenden Wassers übertönte alle anderen Geräusche in der Wohnung. Jemand konnte ohne weiteres ein Fenster herausbrechen, ohne dass ich es hörte. Ich hätte Henry als Babysitter bei mir behalten sollen. Ich drehte die Dusche ab, wickelte mich in ein Badetuch und spähte über das Treppengeländer nach unten.
Alles sah noch so aus wie vorher — kein Fenster war eingeschlagen, keine blutige Hand griff durch das Loch in der Scheibe, um den Riegel zurückzuschieben.
Ich zog Jeans und ein sauberes Hemd an, nahm frische Bettwäsche aus dem Schrank und machte das Sofabett fertig. Es war ein seltsames Gefühl, einen Hausgast zu haben, selbst wenn es sich dabei um einen Leibwächter handelte. War ich doch noch nicht einmal daran gewöhnt, allein hier zu wohnen, geschweige denn mit einem Mann, den ich kaum vierundzwanzig Stunden kannte.
Ich packte die Segeltuchtasche aus und räumte das Wohnzimmer auf. Dietz hatte zwar gesagt, ich solle mich nicht am Telefon melden, doch er hatte mir nicht verboten, selbst zu telefonieren. Es war erst Viertel nach sechs. Wie gewöhnlich brauche ich meinen Beruf, um mich wohl zu fühlen.
Ich wählte die Nummer von Mrs. Gersh. »Irene? Kinsey Millhone hier. Ich wollte mich nur zurückmelden und fragen, ob Ihre Mutter schon eingetroffen ist?«
»Wie reizend von Ihnen«, sagte sie. »Ja, Mutter ist hier. Sie ist heute Nachmittag gegen drei angekommen. Wir haben sie von einer Ambulanz vom Flugplatz abholen und direkt ins Pflegeheim bringen lassen. Ich habe sie besucht — bin eben erst zurückgekommen, und es scheint ihr gut zu gehen. Natürlich ist sie müde.«
»Die Reise muss für sie sehr beschwerlich gewesen sein.«
»Ich glaube, sie haben sie ruhig gestellt«, sagte Irene etwas leiser, »obwohl niemand ein Wort darüber verloren hat. Ich habe erwartet, dass sie allen die Hölle heiß machen würde, aber sie war sehr still — niedergeschlagen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass Sie sie aufgespürt haben — und das so schnell. Sogar Clyde war deutlich erleichtert.«
»Gut. Das freut mich. Ich hoffe, alles wird gut.«
»Und wie steht’s mit Ihnen, meine Liebe? Ich habe von Ihrem Unfall gehört. Sind Sie in Ordnung?«
Verblüfft starrte ich den Telefonhörer an. »Sie haben davon gehört?«
»Aber ja. Von Ihrem Mitarbeiter. Er hat heute Nachmittag hier angerufen und gefragt, wann Sie zurückkommen.«
Ich schien innerlich völlig zu erstarren. »Welcher Mitarbeiter?«
»Keine Ahnung, Kinsey. Ich habe gedacht, Sie wüssten Bescheid. Er hat gesagt, er sei Partner in Ihrer Agentur. Den Namen habe ich nicht verstanden.« Ein leiser Zweifel hatte sich in ihre Stimme geschlichen, vermutlich weil ich so eisig reagiert hatte.
»Um wie viel Uhr war das?«
»Vor einer Stunde ungefähr. Ich habe ihm gesagt, ich hätte nichts von Ihnen gehört, sei aber sicher, dass Sie heute Nachmittag zurückfahren würden. Da erwähnte er, dass Sie einen Unfall hatten. Stimmt etwas nicht?«
»Irene, es gibt in meiner Agentur keinen Partner. Es gibt aber einen Kerl, der
Weitere Kostenlose Bücher