Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
ausschließen. Ich bin hier, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, das ist alles. Sogar der Präsident geht an die Öffentlichkeit, um Himmels willen!« Sein Tonfall veränderte sich. »Außerdem glaube ich nicht, dass der Kerl, mit dem wir es zu tun haben, ein Profi ist...«
»Wie tröstlich. Er könnte stattdessen ja auch ein Irrer sein.«
Dietz zuckte gelassen mit den Schultern. »Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, sind Sie dort ziemlich sicher. Die Anzahl der Gäste ist beschränkt, und Sie kennen diese Leute. Am Ende läuft es nur darauf hinaus, ob Sie hingehen wollen oder nicht. Sagen Sie es mir. Ich bin nicht hier, um Ihnen vorzuschreiben, wie Sie leben sollen.«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete ich ein bisschen besänftigt. »Das Dinner ist keine große Sache, aber es wäre vielleicht ganz nett, wieder einmal auszugehen.«
»Dann sehen wir’s uns mal an und entscheiden danach, oh wir bleiben wollen.«
Gegen Mittag hatte ich alles Berufliche erledigt und schloss meine Akten wieder ein. Das Telefon klingelte in dem Moment, in dem Dietz und ich zur Tür gingen. Ich wollte abnehmen, aber er hielt mich mit erhobener Hand zurück und meldete sich selbst. »Detektei Millhone.« Er hörte kurz zu und reichte mir dann den Hörer.
»Hallo.«
»Kinsey, hier ist Irene Gersh. Tut mir Leid, Sie schon wieder zu behelligen. Sie haben zu tun, ich weiß...«
»Kein Problem. Was gibt’s?«
»Mutter ist verschwunden. Sie hat sich wohl nicht bei Ihnen gemeldet?«
»Nein, und selbst wenn sie das wollte, wüsste sie wahrscheinlich gar nicht, wen sie anrufen sollte. Ich habe sie nur zweimal gesehen. Wie lange ist sie schon weg?«
»Das weiß keiner so recht. Die Leiterin des Pflegeheims schwört, dass Mutter beim Frühstück noch da war. Eine Helferin hat sie im Rollstuhl in den Speisesaal gefahren, musste sich dann aber um jemand anderen kümmern. Sie sagte meiner Mutter Bescheid und bat um einen Augenblick Geduld, doch als sie sich wieder umdrehte, war Mutter aus dem Rollstuhl aufgestanden und zu Fuß weggegangen. Alle haben gedacht, dass sie nicht sehr weit kommen kann. Ich glaube, sie haben Haus und Garten abgesucht und jetzt begonnen, in der Nachbarschaft herumzufragen. Ich bin unterwegs dorthin, wollte nur vorher von Ihnen erfahren, ob Sie vielleicht etwas wissen.«
»Tut mir Leid, ich habe nichts von ihr gehört. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, nein, das ist im Augenblick wirklich nicht nötig. Die Polizei ist verständigt, ein Streifenwagen fährt das Viertel ab. Bisher noch keine Spur von ihr, aber ich bin überzeugt, dass sie wieder auftaucht. Ich wollte nur nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, dass sie bei Ihnen sein könnte.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr helfen. Wir haben jetzt etwas vor, aber ich kann Sie später noch einmal anrufen, um den Stand der Dinge zu besprechen. Geben Sie mir Adresse und Telefonnummer des Pflegeheims?« Den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt, notierte ich mir beides auf einen Zettel. »Ich rufe Sie an, sobald wir zurück sind.«
»Danke. Ich weiß Ihre Anteilnahme zu schätzen.«
»Machen Sie sich vorläufig noch keine allzugroßen Sorgen. Ich bin sicher, dass sie irgendwo in der Nähe ist.«
»Hoffentlich!«
Als wir die Hintertreppe hinuntergingen, setzte ich Dietz ins Bild. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, mich ins Pflegeheim zu fahren, aber andererseits handelte es sich wohl kaum um einen echten Notfall. Er wollte sich das Edgewater Hotel ansehen und die Arrangements für das Bankett überprüfen. Er schlug mir vor, Irene vom Hotel aus anzurufen, nachdem er alles erledigt hatte. Das klang vernünftig, und ich war einverstanden, obwohl ich genau wusste, dass ich’s anders herum gemacht hätte, wenn ich allein gewesen wäre. Ich war zerstreut und achtete ausnahmsweise nicht auf seinen Fahrstil. Wohin konnte Agnes nur verschwunden sein? Sie war zwar im Stande, einen Riesenrabatz zu machen, wenn es ihr passte, aber bei meinem letzten Gespräch mit Irene hatte ich den Eindruck gewonnen, dass Agnes sich mit dem Umzug abgefunden hatte. Ich beruhigte mich selbst mit einem Schulterzucken. Gewiss tauchte sie bald wieder auf.
12
Ich lehnte den Kopf zurück und schaute aus dem Wagenfenster, während Dietz ein paar Mal das Hotel umrundete. Ich sah, dass er sich verschiedene Routen einprägte und besonders auf die Stellen achtete, wo sich ein Überfall am leichtesten bewerkstelligen ließ und wir verwundbar waren. Mein Interesse an
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