Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Brawley, auf der Straße. Und auch jetzt, mit dem ersten Schuss, den er abgefeuert hat. Wenn Sie tot sind, ist das Spiel zu Ende. Das will er nicht. Er ist kein Profi. Er ist krank. Das können wir uns zu Nutze machen, um ihn zu fassen. Verstehen Sie, was ich sage? Wir kennen jetzt seine Schwäche.«
»Ja, die bin ich«, sagte ich, ein loses Mundwerk bis zum letzten Moment. Tatsächlich begriff ich fast gar nichts. Ich hatte dem Tod in die Augen gesehen und ihn irrtümlicherweise für einen Freund gehalten. Schon andere Leute hatten mich töten wollen, aus Rache, aus Flass. Nie war mir das als gegen mich persönlich gerichtet erschienen, bis dieser Mann aufgetaucht war. Nie war mir jemand so nahe gekommen.
Ich sah zu Irene hinüber. Ihre Atemnot wurde nicht besser, sondern immer schlimmer. Sie atmete hastig, flach und wirkungslos, das Pfeifen in ihrer Kehle hörte sich an wie zwei sehr hohe Töne eines Dudelsacks. Ihre Fingerspitzen verfärbten sich bläulich. Sie drohte an Ort und Stelle zu ersticken. »Sie braucht Hilfe«, sagte ich.
Dietz drehte sich zu ihr um. »O verdammt!«
Er sprang sofort auf und ging zu ihr. Der Hausherr war am Telefon und wiederholte für die Telefonzentrale der Polizei Namen und Adresse.
»Wir brauchen auch einen Krankenwagen«, sagte Dietz und dann zu Irene: »Ganz ruhig. Sie schaffen es. Bald kommt Hilfe für Sie. Nur keine Panik...«
Irene nickte. Sprechen konnte sie nicht.
Mitten in das Durcheinander platzte Clyde Gersh, angelockt von den Nachbarn, die immer noch draußen herumstanden. Später sagte er mir, als er die Schäden am Haus sah, habe er nur gedacht, wir hätten Agnes gefunden, und sie habe sich gewehrt und getobt. Irene auf dem Boden sitzend und von einem starken Asthmaanfall geschüttelt vorzufinden, hatte er ganz bestimmt nicht erwartet. Nach ein paar Minuten traf die Polizei mit den Sanitätern ein, die Irene Sauerstoff gaben und Erste Hilfe leisteten, sie auf eine Trage luden und mit ihr hinauseilten. Ich hatte inzwischen das merkwürdige Gefühl, irgendwo außerhalb zu stehen. Ich wusste, was man von mir erwartete und tat, was man mir sagte. Monoton leierte ich herunter, was passiert war und überließ es Dietz, den Hintergrund der Geschichte beizusteuern. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrichen war, ehe man ihm erlaubte, mich nach Hause zu bringen. Die Minuten schleppten sich dahin, mir kamen sie wie Stunden vor. Ich hörte nicht einmal den Namen des Mannes, dem das Haus gehörte. Als ich mich zum letzten Mal umschaute, stand er auf der Veranda und sah aus wie der einzig Überlebende eines Erdbebens mit Stärke 8.8 auf der nach oben offenen Richter-Skala.
14
Zu Hause angekommen, tastete ich mich mühsam in meinen Schlafraum hinauf, streifte die Schuhe ab und streckte mich auf dem Bett aus. Während ich mir die Kissen hinter den Rücken stopfte, dachte ich über mich nach. All die lästigen Schmerzen, die meinen Körper gepeinigt hatten, waren verschwunden, weggespült von der Adrenalinwelle, die während des Überfalls über mir zusammengeschlagen war. Ich fühlte mich leer, apathisch, mein Gehirn knisterte noch, doch mein Körper war wie gelähmt. Unten hörte ich Dietz telefonieren.
Ich muss im Sitzen eingedöst sein. Dietz kam. Er saß auf meiner Bettkante, als ich die Augen aufschlug. In einer Hand hielt er ein paar Papiere und eine Tasse Tee in der anderen. »Trinken Sie«, sagte er.
Ich nahm die Tasse und konzentrierte mich auf die Wärme. Tee hatte schon immer besser geduftet, als er schmeckte. Ich weiß noch, wie ich als Kind erschrak, als man mir das erste Mal erlaubt hatte, einen Schluck zu probieren. Ich blickte zum Oberlicht hinauf, in dem jetzt ein lavendel- und rauchfarbener Kreis zu sehen war. »Wie spät ist es?«
»Zehn nach sieben.«
»Hat Clyde sich gemeldet?«
»Er hat vor einer Weile angerufen. Es geht ihr gut. Sie haben sie behandelt und nach Hause geschickt. Wie geht es Ihnen?«
»Besser.«
»Fein. Wir essen bald Abendbrot. Henry bringt uns was rüber.«
»Ich hasse es, verhätschelt zu werden.«
»Ich auch, aber das ist Quatsch. Henry macht sich gern nützlich, ich verhungere langsam, und von uns beiden kann keiner kochen. Wollen Sie reden?«
Ich schüttelte den Kopf. »Meine Seele ist noch nicht in meinen Körper zurückgekehrt.«
»Sie kommt wieder. Ich habe etwas über den Burschen, von der Polizei in L. A. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?«
»Na schön.«
Es waren mehrere Berichte des Police Departments von Los
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