Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
sitzen bleiben, bis das Fieber gesunken ist. Ich war nahe daran, mein Hosenbein aufzurollen, um ihm meine Verletzung zu zeigen, doch dann kam mir das irgendwie unverschämt vor.
    »Sie sollten hören, wie sie von Ihnen spricht«, fuhr ich fort. »>Achteinhalb auf einer Zehnerskala<, so beschreibt sie Sie. Das schwöre ich Ihnen.«
    »Machen Sie Witze?«
    »Aber Neil! Wie können Sie so was denken! Sie ist total in Sie verknallt. Sie weiß es nur selbst noch nicht.«
    Jetzt lachte er so, dass sein Gesicht in jungenhafter Freude zu strahlen begann. Ich hätte schwören können, dass er rot wurde. Er war wirklich süß. Ich sah auf, eben rechtzeitig genug, um einen starren Blick von Vera aufzufangen. Ich winkte ihr mit dem kleinen Finger und wandte mich wieder Neil zu.
    »Ich meine, wozu, zum Kuckuck, sind Beziehungen eigentlich da?«, fragte ich.
    »Aber sie hat nie auch nur das leiseste Anzeichen...«
    »Ich will Ihnen jetzt etwas sagen. Ich kenne Vera seit einer Ewigkeit, aber noch nie hat sie von einem Mann so gesprochen wie von Ihnen.«
    Er hörte zwar aufmerksam zu, aber ich merkte, dass er es mir nicht abnahm.
    »Wie groß sind Sie eigentlich?«, fragte ich. »Mir kommen Sie nicht klein vor.«
    »Knapp einssiebzig.«
    »Sie ist nur einsvierundsiebzig, Also, was soll’s?«
    Zur gleichen Zeit etwa klopfte Mac Voorhies mit einem Löffel an sein Glas und sagte: »Meine Damen und Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten...« Er und Marie saßen an Tisch zwei, fast in der Saalmitte. Jewel und ihr Mann hatten ihre Plätze am selben Tisch, und ich sah, wie Jewel sich in Erwartung der Rede zu winden begann. Maclin Voorhies ist einer der Vizepräsidenten der California Fidelity, mager und humorlos, mit schütterem, immer verwehtem weißen Haar und einer ewigen Zigarre zwischen den Zähnen. Er ist intelligent, fair, ehrenwert, konservativ, manchmal übellaunig, aber ein sehr fähiger leitender Angestellter. Dass dieser Mann sie öffentlich loben wollte, hatte Jewel schon das Blut ins Gesicht getrieben.
    Im Saal wurde es allmählich still.
    Mac ließ sich noch einen Moment Zeit, um die Anwesenden zu mustern. »Wir haben uns heute Abend hier eingefunden, weil wir einer der großartigsten Frauen, mit denen ich je zusammenarbeiten durfte, die gebührende Anerkennung zollen wollen. Wie Sie alle wissen, zieht sich Jewel Cavaletto nach fünfundzwanzigjähriger Mitarbeit in unserer Firma in den Ruhestand zurück...«
    Ton und Gedankengang einer Ansprache nach einem festlichen Essen haben etwas Hypnotisches an sich — vielleicht liegt es daran, dass man viel gegessen und Wein getrunken hat und der Raum inzwischen zu warm geworden ist. Ich war Mac dankbar, dass er auf die übliche humorige Einleitung verzichtet hatte und direkt zum Thema kam. Ich weiß nicht, wieso ich auf einmal zur Tür schaute. Alle anderen sahen Mac an. Doch irgendetwas tauchte in meinem äußersten Augenwinkel auf, und ich wandte den Kopf.
    Es war das Kind. Zuerst blinzelte ich verständnislos, als hätte ich es mit einer Fata Morgana zu tun. Dann brach die Angst über mich herein.
    Das erste Mal hatte ich ihn zwar flüchtig, aber dennoch deutlich genug auf dem Rastplatz gesehen. Mark Messinger hatte an jenem Tag so getan, als schlafe er, hatte sich mit einer Illustrierten über dem Gesicht auf einer Bank ausgestreckt, und Eric hatte inzwischen auf dem Gehsteig gekniet, mit einem Matchbox-Auto gespielt und dazu Töne von sich gegeben, mit der Stimme das Brummen des Motors und das Herauf- und Herunterschalten nachgeahmt. Und eines Abends hatte ich ihn auf dem Motelparkplatz noch einmal gesehen, nur ganz verschwommen in der schlecht beleuchteten Nische, in die sein Vater ihn mitgenommen hatte, um ihm etwas zu trinken zu holen. Ich hatte in der Dunkelheit sein Lachen gehört, ein koboldhaftes Kichern, das an die finstere Unterwelt der Elfen und Feen erinnerte. Bei unserer letzten Begegnung war sein Gesicht halb hinter dem Verkaufsschild verborgen gewesen, das auf der Beifahrerseite des Kombis hing, mit dem sein Vater versucht hatte, mich umzubringen.
    Für einen Fünfjährigen war er klein. Das Licht im Flur schimmerte auf seinem blonden Kopf. Sein Haar war schon ziemlich lang. Seine Augen hingen an mir, und seinen Mund umspielte ein zögerndes Lächeln. Er drehte sich um und sah jemanden an, der hinter ihm im Flur stand, aber nicht zu sehen war. Jemand soufflierte ihm wie einem Kind, das bei einer Klassenaufführung eine ihm unbekannte Rolle spielt. Ich

Weitere Kostenlose Bücher