Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
und ich sah, dass einzelne dünne Schwaden sich um die Lampe drehten. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Ich störe um diese Zeit nur sehr ungern, aber Irene hat darauf bestanden.«
»Kommen Sie rein«, sagte Dietz und trat zurück, damit Clyde eintreten konnte. Dietz schloss die Tür hinter ihm und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. Clyde lehnte mit einem kurzen Kopfschütteln ab. »Irene wartet im Wagen. Ich möchte sie nicht zu lange allein lassen. Sie hat es natürlich sehr eilig, ins Krankenhaus zu kommen.«
Er sah müde aus, sein Gesicht mit den Hängebacken war von Sorge gezeichnet. Er trug einen braunen Gabardinemantel und hatte die Hände tief in die Taschen geschoben. Sein Blick ruhte kurz auf Dietz’ Pistolenhalfter, doch er enthielt sich jeden Kommentars, als wäre es ein Verstoß gegen die Etikette, wenn er die Waffe erwähnte.
»Wie geht es Agnes?«, fragte ich. »Hat man Sie darüber informiert?«
»Wir wissen nichts Genaues. Der Doktor sagt, kleinere Verletzungen, Risse und Blutergüsse — nichts Ernstes. Aber ihr Herzschlag ist unregelmäßig, und ich schätze, dass sie sie an irgendeinen Apparat gehängt haben. Bevor sie endgültig aufgenommen wird, müssen wir den ganzen Papierkram unterschreiben. Ich glaube nicht, dass es etwas Lebensbedrohliches ist, aber schließlich ist sie über achtzig.«
»Hat die Polizei sie gefunden?«
Clyde nickte. »Eine Frau hat Agnes auf der Straße entdeckt und die Polizei gerufen. Der Beamte, der bei uns war, hat gesagt, Agnes sei verwirrt und habe keine Ahnung, wo sie ist oder die ganze Zeit war. Der Arzt sagt, sie hat, seit sie eingeliefert wurde, von Ihnen gesprochen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns zu ihr begleiten würden, falls es keine allzu große Mühe für Sie ist.«
»Klar komm ich mit«, sagte ich. »Ich muss mich nur umziehen. So möchte ich nicht gehen.«
»Ich sage Irene schnell Bescheid, dass Sie kommen«, sagte er zu mir. Und dann zu Dietz: »Fahren Sie mit Ihrem Wagen hinter uns her, oder fahren Sie mit uns?«
»Wir fahren mit Ihnen und nehmen uns für den Rückweg ein Taxi«, antwortete Dietz.
Auf dem Weg zum Obergeschoss zog ich schon auf halber Treppe die schwarze Seidenjacke aus und schleuderte die Schuhe von den Füßen. Dann beugte ich mich über das Geländer. »Wo hat man sie gefunden?«
Clyde wandte mir mit einem Schulterzucken das Gesicht zu. »In der Umgebung des Pflegeheims... Irgendwo ganz in der Nähe — sie ist also nicht weit gekommen. Ich verstehe nicht, wieso wir sie verfehlt haben, es sei denn, sie hat uns gesehen und sich versteckt.«
»Das traue ich ihr ohne weiteres zu.« Ich verzog mich nach hinten, stieg aus dem Overall und zog, auf einem Bein hüpfend, die Jeans über die schwarze Strumpfhose. Ich legte einen BH um, schnappte mir ein Polohemd aus der Kommode, streifte es über und schüttelte mein Haar aus. Dann stieg ich in meine knöchelhohen Reeboks und ließ die Schnürsenkel offen, die wollte ich später binden. Zwei Sekunden später trabte ich die Treppe hinunter und griff nach meiner Umhängetasche.
»Machen wir schnell«, sagte ich, als Dietz die Tür öffnete.
Clydes weiße Mercedeslimousine parkte am Randstein. Irene, die auf dem Beifahrersitz saß, sah uns sorgenvoll entgegen.
Während der Fünfzehn-Minuten-Fahrt zum St. Terry war die Stimmung gespannt. Dietz und ich saßen im Fond, Dietz seitlich verkrümmt, so dass er durch die Heckscheibe schauen konnte, ob uns irgendwelche Wagen folgten. Ich kauerte ganz vorn auf der Kante, beugte mich vor und stützte die Arme auf den Vordersitz, ganz dicht bei Irene, die meine Hand umklammerte wie eine Rettungsleine. Ihre Finger waren eiskalt, und ich ertappte mich dabei, dass ich unbewusst gehorcht hatte, ob sich nicht durch Pfeifen und Keuchen ein erneuter Asthmaanfall ankündigte. Keiner sagte viel. Die Informationen über Agnes waren spärlich, und es hatte keinen Sinn, sie zu wiederholen.
Der kleine Parkplatz vor der Notaufnahme war belegt, der Stellplatz am Ende von einem schwarzweißen Taxi besetzt. Clyde hielt vor dem Eingang, ließ uns aussteigen und fuhr wieder weg, um einen Parkplatz auf der Straße zu suchen. Irene blieb zurück, wollte offensichtlich ohne ihn nicht hineingehen. Sie trug einen leichten Frühjahrsmantel, doppelreihig, knallrot, den sie jetzt fester um sich zog, als friere sie. Ich merkte, dass sie zu den Straßenlaternen hinübersah und nach Clyde Ausschau hielt.
»Er kommt gleich nach«,
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