Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Hühnerbrust, mit Zitrone und Kapern sautiert, Miniaturgemüse und zum Abschluss eine schwere Schokoladentorte in einem Teich aus Vanillesoße. Ich aß wie ein Waldtier, den Kopf halb erhoben, um die Tür im Auge zu behalten, denn ich fürchtete, Mark Messinger könnte mit einer Uzi auftauchen und uns alle niedermähen wie Unkraut. Aus der Schulterhaltung von Dietz schloss ich, dass er entspannter war als ich, aber er starrte ja auch Vera in den Ausschnitt, eine prickelnde Ablenkung für jeden Mann.
Ich hörte der Unterhaltung am Tisch zu. Neil und ich saßen mit zwei Versicherungskaufleuten und ihren Frauen zusammen, einem Quartett, das mit einer Begeisterung über Bridge sprach, um die ich es nur beneiden konnte. Die vier waren eben von einer ausschließlich dem Bridge gewidmeten Kreuzfahrt zurückgekehrt, auf der Kleinschlemm-Ansagen und Gourmetessen sich mit schöner Regelmäßigkeit abgewechselt hatten. Es war viel von Sans-Atout, Honneurs und Sheinwold die Rede, dessen Strategien sie diskutierten. Da weder Neil noch ich Bridge spielten, blieben wir uns selbst überlassen. Das war bestimmt auch eine Strategie — aber die von Vera.
Aus der Nähe gesehen, war der Mann ziemlich attraktiv, doch ich entdeckte keinerlei Anzeichen für all die Tugenden, die Vera ihm zugeschrieben hatte. Schöne Hände. Hübscher Mund. Er kam mir zwar ein bisschen überheblich vor, doch das konnte Unbehagen sein, das sich hinter Arroganz versteckte. Ich merkte, dass er sehr selbstsicher über berufliche Dinge (mit anderen Worten: seine Arbeit) sprach. Wenn es um Persönliches ging, wurde er unsicher und begab sich schnell wieder auf festeren Grund. Als der Nachtisch kam, tasteten wir uns noch immer durch die unterschiedlichsten Gesprächsthemen, suchten erfolglos nach gemeinsamen Interessen.
»An welcher Schule waren Sie, Kinsey?«
»Santa Teresa High.«
»Ich habe das College gemeint.«
»Ich habe kein College besucht.«
»Ach, wirklich? Das überrascht mich aber. Sie scheinen mir doch recht intelligent zu sein.«
»Die Leute heuern mich nicht wegen meiner Intelligenz an. Sie heuern mich an, weil ich zu dumm bin, um zu erkennen, wann ich aufhören soll. Außerdem glauben sie, dass ich billig arbeite, weil ich eine Frau bin.«
Er lachte. Da ich es nicht witzig gemeint hatte, zuckte ich nur leicht mit den Schultern.
Er schob seinen Dessertteller beiseite und trank einen Schluck Kaffee. »Wenn Sie ein Examen hätten, hätten Sie ganz andere Möglichkeiten, nicht wahr?«
Ich sah ihn an. »Was für ein Examen?«
»In Kriminalistik, schätze ich.«
»Dann müsste ich für die Regierung oder für die städtische Polizei arbeiten. Das habe ich schon getan, und es war grässlich. So fühle ich mich viel wohler. Außerdem habe ich die Schule gehasst. Hab dort nur gekifft.« Ich beugte mich zu ihm. »Darf ich jetzt was fragen?«
»Klar.«
»Wie haben Sie Vera kennen gelernt?«
Man merkte es ihm kaum an, aber er war verwirrt, rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. »Ein gemeinsamer Freund hat uns vor zwei, drei Monaten miteinander bekannt gemacht. Seither haben wir uns häufig gesehen — rein freundschaftlich, natürlich. Nichts Ernstes dahinter.«
»O ja, klar doch«, sagte ich. »Was denken Sie also?«
»Über Vera? Sie ist fantastisch.«
»Wieso sitzen Sie dann hier mit mir zusammen?«
Wieder lachte er und drückte sich mit diesem gekünstelten Gelächter vor einer Antwort.
»Ich meine es ernst«, sagte ich. Sein Lächeln kühlte merklich ab. Er sagte noch immer nicht, was Sache war, also versuchte ich es selbst. »Ich glaube, sie ist scharf auf Sie, weiß aber nicht, wie sie es anstellen soll, Sie zu kriegen.«
Er sah mich an, als spräche ich chinesisch. »Das zu glauben, fällt mir schwer«, sagte er. Er überlegte einen Augenblick. »Außerdem ist sie ein bisschen zu groß für mich, finden Sie nicht?«
»Aber durchaus nicht. Sie passen großartig zusammen. Ich habe Sie beide beobachtet, als Sie kamen.«
Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß, dass es sie stört. Sie hat es zwar nie ausdrücklich gesagt, aber...«
»Sie wird sich daran gewöhnen.«
»Glauben Sie?«
»Stört es Sie?«
»Nicht im Geringsten.«
»Wo liegt dann das Problem?«
Er sah mich an. Sein Gesicht fing an, mir zu gefallen. In seinen Augen lag ein hübsches Leuchten, sein Blick verriet, dass er aufrichtig und tüchtig war. Er gehörte wahrscheinlich zu jenen Ärzten, die man auch um zwei Uhr nachts anrufen konnte und die bei einem Kind
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