Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Hoteleingang, vielleicht in der Hoffnung, uns dort zu entdecken. Sein junger Körper verriet die ganze Anspannung eines aufregenden Versteckspiels. Messinger sah ich zwar nicht, aber er musste irgendwo in der Nähe sein. Ich berührte Dietz’ Arm und zeigte auf das Kind. Er nahm das Glas und fing wieder an zu suchen.
»Da ist er«, sagte er. Er schaute mit dem bloßen Auge hin und dann wieder mit dem Glas. Wortlos zogen wir uns zurück. Wir liefen um das Hauptgebäude herum und schlüpften durch einen hinteren Lieferanteneingang ins Hotel. Von einem der Münztelefone, die in der Nähe der Küche an der Wand hingen, rief Dietz einen Taxistand an und bestellte einen Wagen, der uns ein paar Minuten später in einer Seitenstraße hinter dem Hotel aufnahm.
18
Als wir nach Hause kamen, war es fast elf, und Dietz war schlecht gelaunt. Er hatte im Taxi geschwiegen und schwieg auch noch, als er die Tür aufsperrte und wir ins Haus gingen. Ungeduldig zog er das Jackett aus. Der rechte Ärmel blieb an seinem Manschettenknopf hängen. Er riss ihn los, knüllte das Jackett zusammen; schmiss es durchs Zimmer und ließ es auf dem Boden liegen. Er ging in die Küche, öffnete die Flasche Jack Daniels, schenkte sich ein Wasserglas Whiskey ein und leerte es auf einen Zug.
Ich hob das Jackett vom Boden auf und legte es mir ordentlich gefaltet über den Arm. »Es war nicht Ihre Schuld«, sagte ich.
»Und ob es meine Schuld war, verdammt!«, fauchte er. »Ich war derjenige, der darauf bestanden hat, dass wir heute Abend dorthin gehen. Es war idiotisch — viel zu riskant — und wofür? Messinger hätte mit einer Uzi reinspazieren und uns alle niedermachen können.«
Dem zu widersprechen, war natürlich schwer, da mir ja derselbe Gedanke gekommen war. »Aber was ist passiert? Nichts.«
Er griff nach einer Zigarette, zog jedoch abrupt die Hand zurück. »Ich gehe aus«, sagte er.
»Und lassen mich hier allein?«, schrie ich auf.
Er warf mir einen finsteren Blick zu und presste die Finger so fest um das Glas, dass ich fast erwartete, es in seiner Hand zersplittern zu sehen. Etwas an dieser Geste schürte meine Gereiztheit.
»Machen Sie doch halblang, um Himmels willen! Der Kerl spielt sich wieder auf. Na und? Er will mich nervös machen, und er will, dass Sie sich selbst in den Hintern treten. So weit, so gut. Sie stürmen hinaus, um sich eine Packung Zigaretten zu holen, und er kann inzwischen ganz lässig hereinspazieren und mich ungestört erledigen. Vielen Dank.«
Er schwieg einen Moment. Dann stellte er das Glas beiseite und lehnte sich mit steifen Armen, den Kopf gesenkt, an die Küchentheke. »Sie haben Recht.«
»Verdammt richtig, dass ich Recht habe«, sagte ich mürrisch. »Beruhigen Sie sich, und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir ihn fertig machen können. Ich hab’s gar nicht gern, wenn ein anmaßender Idiot wie der versucht, mich zu erschießen. Wir müssen ihn zuerst kriegen.«
Seine Laune wurde schlagartig besser. »Wie?«
»Keine Ahnung.«
Es klopfte an der Wohnungstür, und wir fuhren beide zusammen. Dietz zog seine Pistole und schickte mich mit einer Handbewegung in die Küche. Er ging zur Tür und presste sich flach an die Wand.
»Wer ist da?«
Die Stimme war gedämpft. »Clyde Gersh.«
Ich wollte zur Tür, aber Dietz winkte mich stirnrunzelnd zurück. Er neigte den Kopf zur Seite und lehnte sich mit der Schläfe an den Türrahmen. »Was wollen Sie?«
»Man hat Agnes aufgegriffen. Sie ist jetzt im St. Terry in der Notaufnahme und fragt nach Kinsey. Wir haben mehrmals eine Nachricht auf Ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, und als Sie sich nicht meldeten, dachten wir, wir fahren selber mal vorbei. Wir sind unterwegs ins Krankenhaus. Ist sie jetzt zu Hause?«
»Warten Sie«, sagte Dietz. Er zeigte auf den Anrufbeantworter, der auf dem Bücherregal hinter dem Sofa stand. Ich kontrollierte das rote Licht, das zwei Anrufe anzeigte. Ich stellte die Lautstärke leiser, drückte dann auf den Abspielknopf und hörte das Band ab. Die erste Nachricht stammte von Irene, die zweite von Clyde. Beide besagten praktisch dasselbe. Man hatte Agnes gefunden, und sie fragte nach mir. Dietz und ich wechselten einen Blick. Er zog die Brauen hoch, zuckte gewissermaßen innerlich mit den Schultern. Er schaltete das Außenlicht ein, spähte durch den Spion und öffnete vorsichtig die Tür. In einem fahlen Lichtkreis stand Clyde ganz allein auf der Matte. Hinter ihm war es sehr dunkel. Der Nebel rollte herein,
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