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Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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sagte ich.
    Sie hängte sich an meinen Arm, und Dietz bildete die Nachhut. Die beiden Türflügel öffneten sich automatisch, als wir uns näherten. Wir kamen in die Aufnahme, die, soweit ich das übersehen konnte, völlig verlassen dalag. Ich war verblüfft über die Stille. Irgendwie hatte ich Geschäftigkeit, Hektik, etwas von medizinischer Dramatik erwartet, wie sie in der Notaufnahme an der Tagesordnung sind: Patienten mit gebrochenen Knochen, Stichwunden, Schnitten, Insektenstichen, allergischen Reaktionen und Verbrennungen. Hier hatte man das Gefühl, dass die Räume leer waren, niemand schien dringend medizinisch versorgt werden zu müssen. Vielleicht lag das an der späten Stunde, vielleicht an einer unvorhergesehenen Flaute in der üblichen Betriebsamkeit.
    Irene und ich warteten am halbrunden Tresen, an den sich ein mit Formularen übersäter hufeisenförmiger Schreibtisch anschloss. Gleich rechts neben uns waren zwei Schalter, für die Aufnahme von Patienten bestimmt, aber um diese Zeit geschlossen. Links stand ein Raumteiler mit zwei Münztelefonen auf unserer Seite und einem Warteraum auf der anderen. Ich sah einen Farbfernseher, der auf einen Nachrichtensender eingestellt war; aber der Ton war so leise, dass man nichts verstand. Alles war in gedämpftem Blau und Grau gehalten; alles war ordentlich, sauber und still. Durch eine offene Tür konnte ich einen Blick in das Schwesternzimmer werfen, an das sich im Halbkreis mehrere Untersuchungsräume anschlossen. Weder Polizeibeamte noch Pflegepersonal waren zu sehen.
    Dietz war unruhig, schnippte mit den Fingern gegen seinen Handteller. Er schlenderte zu der ins Innere des Gebäudes führenden Tür und schaute durch, prägte sich den Grundriss des Hauses ein und hielt gleichzeitig Ausschau nach Fluchtwegen, für den Fall, dass Messinger wieder auftauchen sollte. Eine Angestellte aus der Aufnahme musste Dietz entdeckt haben, denn sie erschien ein paar Sekunden später und lächelte uns höflich zu. »Tut mir Leid, dass Sie warten mussten. Was kann ich für Sie tun?«
    »Wir wollen Agnes Grey besuchen«, sagte ich.
    Sie war eine Frau in den Vierzigern in ganz normaler Straßenkleidung — Polyesterhose, Baumwollpullover, Schuhe mit Gummisohlen. Um den Hals trug sie ein Stethoskop wie eine Kette mit Anhänger. Ihre Augen waren schokoladebraun und gaben ihrem Gesicht Wärme. Sie überprüfte ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch und sah dann Irene an. »Sind Sie Mrs. Gersh?«
    »Die bin ich«, sagte Irene.
    Die Stimme der Frau klang freundlich, aber ihr Lächeln wurde unsicher. Ihre Haltung verriet jene strikte Neutralität, die man zu schätzen weiß, wenn das Ergebnis einer Untersuchung allen Vorhersagen zum Trotz anders ausgefallen ist als erwartet. »Kommen Sie mit, und setzen Sie sich ins Sprechzimmer«, sagte sie. »Der Doktor kommt sofort.«
    Irene blinzelte ängstlich, ihre Stimme war nicht viel lauter als ein Flüstern. »Ich möchte meine Mutter sehen. Geht es ihr gut?«
    »Dr. Stackhouse möchte zuerst mit Ihnen sprechen«, sagte die Krankenhausangestellte. »Folgen Sie mir bitte.«
    Mir gefiel das nicht. Ihr Verhalten war mir zu freundlich und zu sanft. Sie hätte alle möglichen Antworten geben können. Vielleicht hatte man ihr geraten, keine medizinischen Angelegenheiten zu besprechen. Vielleicht war sie einmal gerügt worden, weil sie voreilig ihre Meinung geäußert hatte, bevor der Arzt es tun konnte. Vielleicht verbat ihr die aus Gründen der Haftung rigide Krankenhauspolitik, über den Zustand eines Patienten etwas zu sagen. Oder vielleicht war Agnes Grey tot. Die Frau sah mich an. »Ihre Tochter darf Sie natürlich begleiten...«
    »Soll ich mitkommen?«, fragte ich.
    »Ja, bitte«, sagte Irene zu mir. Dann zu der Angestellten: »Mein Mann parkt nur den Wagen. Werden Sie ihm sagen, wo wir sind?«
    »Ich sage ihm Bescheid«, meldete sich Dietz zu Wort. »Geht ihr beiden nur los, wir kommen gleich nach.«
    Irene murmelte einen Dank. Dietz und ich wechselten einen Blick.
    Die Angestellte stand an der offenen Tür, während wir durchgingen. Der Flur, durch den sie uns führte, hatte einen auf Hochglanz polierten weißen Fußbodenbelag. Sie brachte uns in ein Sprechzimmer, das offensichtlich von allen Dienst habenden Ärzten benutzt wurde. »Es dauert nicht lange. Kann ich Ihnen etwas bringen? Kaffee? Eine Tasse Tee?«
    Irene schüttelte den Kopf.
    Wir setzten uns in gut gepolsterte blaue Tweedsessel. Der Raum hatte keine Außenfenster. Der

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