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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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leer. Die Schiebetür war geschlossen, der Vorhang zugezogen. Ich konnte es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber das Zimmer schien leer zu sein. Ganz gleich, ich mußte es in jedem Fall riskieren. Ich schwang mein linkes Bein über das Geländer, schob meinen Fuß zwischen die Stäbe und vergewisserte mich, ob ich sicheren Stand hatte, ehe ich mein rechtes Bein nachholte. Die Entfernung zum nächsten Balkon war kein Klacks. Ich langte zum Geländer hinüber und rüttelte erst einmal zur Probe kräftig daran. Ich war des Abgrunds unter mir bewußt und spürte, wie meine alte Höhenangst sich meldete. Wenn ich abrutschte, würden die Büsche unten meinen Sturz kaum dämpfen. Ich streckte mein linkes Bein aus und schob den Fuß zwischen die Geländerstäbe des nächsten Balkons. Es tut nie gut, wenn man bei diesen Unternehmungen zuviel nachdenkt.
    Ich schlug mir also alle Überlegung aus dem Kopf und hangelte mich schwerfällig von meinem Balkon zum nächsten. Lautlos huschte ich über den Balkon meines Nachbarn und wiederholte das Manöver auf der anderen Seite. Nur hielt ich diesmal lange genug inne, um hinüberzuspähen und mich zu vergewissern, daß sich niemand in Jaffes Zimmer aufhielt. Der Vorhang war offen, und wenn auch das Zimmer selbst im Dunkel lag, konnte ich doch hellen Lichtschein sehen, der aus dem Bad drang. Ich griff zu seinem Geländer, prüfte auch hier seine Stabilität, ehe ich es wagte, mich hinüberzuschwingen.
    Auf Jaffes Balkon legte ich erst einmal eine kleine Verschnaufpause ein. Ein leichter Luftzug strich mir über das Gesicht, das, wie ich jetzt merkte, schweißnaß war vor Spannung. Vor der Schiebetür aus Glas blieb ich stehen und spähte ins Zimmer. Die Tagesdecke des breiten Doppelbetts war zurückgeschlagen. Das verwurstelte, zerknitterte Bettzeug erzählte von einer kleinen Nummer vor dem Abendessen. Ich konnte noch einen Hauch des schwülen Parfüms der Frau riechen, der Seife, mit der sie sich hinterher gewaschen hatte. Ich knipste die kleine Taschenlampe an, um etwas mehr Licht zu haben, und ging zur Tür. Nachdem ich die Kette vorgelegt hatte, schickte ich durch den Spion einen Blick in den leeren Korridor hinaus. Ich sah auf die Uhr. Es war Viertel vor acht. Wenn ich Glück hatte, waren sie zum Abendessen in den Ort gefahren wie ich am Tag zuvor. Ich beschloß, mich einfach auf mein Glück zu verlassen, und schaltete die Deckenbeleuchtung ein.
    Zuerst sah ich mir das Badezimmer an, das der Tür am nächsten war. Die Frau hatte die Konsolen zu beiden Seiten des Waschbeckens mit einer Unmenge von Toilettenartikeln vollgestellt: Shampoo, Conditioner, Deo, Toilettenwasser, Gesichtscreme, Feuchtigkeitscreme, Reinigungsmilch, Make-up, Blusher, Puder, Lidschatten, Wimperntusche, Fön, Haarspray, Mundwasser, Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Haarbürste, Wimperncurler. Wie schaffte es diese Frau, je aus dem Zimmer zu kommen? Bis sie endlich mit ihrer »Morgentoilette« fertig war, mußte doch schon wieder Schlafenszeit sein. Sie hatte zwei Nylonhöschen ausgewaschen und über die Duschvorhangstange gehängt. Ich hätte ihr kapriziöse schwarze Spitzendessous zugetraut, dies jedoch waren vernünftige, taillenhohe Höschen wie die konservativere Dame sie bevorzugte. Wahrscheinlich trug sie Büstenhalter, die wie Panzer aussahen.
    Jaffe war der Deckel des Spülkastens der Toilette geblieben. Dort stand sein Kulturbeutel, schwarzes Leder mit goldenem Monogramm, das DDH lautete. Das war interessant. Alles, was er bei sich hatte, war Zahnbürste und Zahnpasta, Rasierzeug und Kontaktlinsenkästchen. Shampoo und Deo lieh er sich wahrscheinlich von ihr aus. Wieder sah ich auf die Uhr. Es war sieben Uhr zweiundfünfzig. Ich überprüfte noch einmal durch den Spion den Korridor. Noch war die Luft rein. Meine Spannung hatte sich gelegt. Mir wurde plötzlich bewußt, daß mir dieses heimliche Herumkramen einen Riesenspaß machte. Ich unterdrückte das Lachen und machte in meinen Tennisschuhen einen kleinen Tanzschritt. Ich liebe so etwas. Ich bin die geborene Schnüfflerin. Nichts ist so anregend wie ein bißchen Einbruch. Höchst vergnügt wandte ich mich wieder meiner Arbeit zu. Wenn ich nicht im Namen des Gesetzes arbeiten würde, säße ich bestimmt längst im Knast.

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    Die Frau gehörte, wie sich zeigte, zu der Sorte, die auf Reisen immer sämtliche Koffer ganz auspackt, meist augenblicklich nach der Ankunft. Sie hatte die rechte Seite der Kommode für sich beschlagnahmt und

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