Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Becken, vermutlich um sich die Sonnencreme vom Körper zu spülen, ehe er mit ihr hineinging. Ich sammelte meine Siebensachen zusammen und ging vor ihnen. Soviel mir daran lag, die Verbindung zu ihnen zu halten, hielt ich es doch für unklug, aggressiver zu sein, als ich es bisher gewesen war. Ich hätte mich mit ihnen bekanntmachen und versuchen können, ein Gespräch anzufangen, um sie vorsichtig über ihre derzeitigen Lebensumstände auszufragen. Aber ich hatte bemerkt, wie geflissentlich sie jede Demonstration von Kontaktsuche vermieden, und ich konnte daraus nur schließen, daß sie Annäherungsversuche von mir abgewehrt hätten. Da war es besser, ähnliches Desinteresse vorzutäuschen.
Ich ging in mein Zimmer und schloß die Tür hinter mir, schaute durch den Spion, bis ich sie durch den Flur kommen sah. Ich nahm an, sie würden sich genau wie wir anderen in ihrem Zimmer verkriechen, bis der Wind sich wieder legte. Ich duschte und zog mich um. Dann streckte ich mich auf dem Bett aus und versuchte zu lesen, nickte vorübergehend ein, bis es auf den Korridoren still geworden war und vom Pool nicht das kleinste Geräusch heraufdrang. Immer noch trieben Windböen schwarze Sandkörner an meine Balkontür. Die Klimaanlage des Hotels, die gelinde gesagt äußerst launisch war, brummte hin und wieder in fruchtlosem Bemühen, der Hitze Herr zu werden. Manchmal war es im Zimmer so kalt wie in einem Kühlschrank, meistens jedoch stickig und abgestanden. Kein Wunder, daß in Hotels dieser Sorte Ängste vor neuen exotischen Variationen der Legionärskrankheit erwachen.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Im ersten Moment wußte ich nicht, wo ich war. Ich knipste das Licht an und sah auf meine Uhr. Zwölf nach sieben. Ach ja. Mir fiel wieder ein, daß ich auf Verfolgungsjagd und Wendell Jaffe mein Opfer war. Waren die beiden vielleicht inzwischen weggegangen? Ich stand auf und lief barfuß zur Tür, um hinauszusehen. Der Korridor war hell erleuchtet und in beiden Richtungen leer. Ich ging bis zu Zimmer 312 und ein Stück weiter, in der Hoffnung, ein Lichtschimmer unter der Tür würde mir verraten, daß jemand im Zimmer war. Aber ich sah gar nichts, und ich wagte es nicht, mein Ohr an die Tür zu legen und zu lauschen.
Zurück in meinem Zimmer, schlüpfte ich in meine Schuhe. Dann putzte ich mir im Badezimmer die Zähne und kämmte mich. Ich nahm eines der schäbigen Hotelhandtücher mit auf den Balkon und hängte es über das Geländer auf der rechten Seite. Als ich ging, ließ ich das Licht brennen, sperrte die Zimmertür ab und fuhr mit meinem Feldstecher in der Hand nach unten. Ich schaute mich in der Cafeteria um, beim Zeitungskiosk und in der Bar. Jaffe und seine Freundin waren nirgends zu sehen. Als ich draußen auf dem Fußweg stand, drehte ich mich herum, hob meinen Feldstecher und ließ meinen Blick über die Fassade des Hotels schweifen. Im zweiten Stock entdeckte ich das Handtuch auf meinem Balkon. Ich rückte mit meinem Blick zwei Balkone weiter. Dort rührte sich nichts, aber in Jaffes Zimmer war schwacher Lichtschimmer erkennbar, und die Balkontür schien halb aufgeschoben zu sein. Waren sie ausgegangen, oder schliefen sie? Im Foyer ging ich ans Haustelefon und wählte 312. Es meldete sich niemand. Ich ging wieder in mein Zimmer und steckte den Zimmerschlüssel, Stift und Papier und die kleine Taschenlampe ein. Dann löschte ich das Licht.
Ich trat auf den Balkon hinaus und starrte, die Ellbogen aufs Geländer gestützt, in die Nacht hinaus. Dabei machte ich ein versonnenes Gesicht, als kommunizierte ich mit der Natur, während ich in Wirklichkeit überlegte, wie ich in das übernächste Zimmer kommen konnte. Aber es beobachtete mich gar niemand. Nicht einmal die Hälfte der Fenster in der Hotelfassade waren erleuchtet, Bougainvillea wucherte dunkel und dicht. Hier und dort konnte ich jemanden auf einem Balkon sitzen sehen, und manchmal glomm eine Zigarette auf. Es war mittlerweile ganz dunkel geworden. Die äußeren Fußwege waren mit kleinen Lampen gesäumt, der Swimmingpool schimmerte wie ein Edelstein. Drüben, auf der anderen Seite des Beckens kam gerade eine Fete in Gang — Musik, Stimmengewirr, Gelächter, der rauchige Geruch nach gegrilltem Fleisch wehten zu mir herauf. Ich war ziemlich sicher, daß kein Mensch etwas merken würde, wenn ich mich flink wie ein Schimpanse von einem Balkon zum nächsten schwang.
Ich beugte mich vor, so weit ich konnte, und blickte nach rechts. Der Nachbarbalkon war
Weitere Kostenlose Bücher