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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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die Schubladen sehr ordentlich eingeräumt: ganz oben Schmuck und Unterwäsche sowie ihren Reisepaß. Ich schrieb mir ihren Namen auf — Renata Huff — und ebenso die Paßnummer, ihr Geburtsdatum, den Geburtsort, die Behörde, die den Paß ausgestellt hatte, und das Ungültigkeitsdatum. Ohne weiter in ihren persönlichen Dingen zu wühlen, stöberte ich die oberste Schublade auf Jaffes Seite der Kommode durch und machte auch hier wieder einen nützlichen Fund. Aus seinem Paß ging hervor, daß er unter dem Namen Dean DeWitt Huff reiste. Ich notierte mir die Angaben und riskierte zur Abwechslung wieder einmal einen Blick durch den Spion. Der Korridor war leer. Es war inzwischen acht Uhr zwei, wahrscheinlich Zeit zu verschwinden. Mit jeder Minute, die ich länger blieb, vergrößerte sich das Risiko, zumal ich keine Ahnung hatte, wann die beiden weggegangen waren. Aber da ich nun schon einmal hier war, wollte ich doch sehen, ob ich nicht noch ein oder zwei nützliche Entdeckungen machen konnte.
    Systematisch öffnete ich die übrigen Schubladen und schob meine Hand unter und zwischen die säuberlich gestapelten Wäsche- und Kleidungsstücke. Wendell hatte alle seine Kleider und persönlichen Dinge noch im Koffer, der aufgeklappt auf dem Kofferbock lag. Ich arbeitete schnell und so achtsam wie möglich, da ich vermeiden wollte, daß sie etwas merkten. Ich hob den Kopf. Hatte ich da eben ein Geräusch gehört? Wieder sah ich durch den Spion.
    Jaffe und die Frau waren eben aus dem Aufzug getreten und schlugen den Weg zu ihrem Zimmer ein. Die Frau war sichtlich erregt. Ihre Stimme klang schrill, ihre Gesten waren fahrig. Er sah finster drein, mit steinernem Gesicht und verkniffenem Mund. Bei jedem Schritt schlug er zornig eine gefaltete Zeitung gegen sein Bein.
    Eines habe ich mittlerweile gelernt: In der Panik neigt man dazu, krasse Fehler zu begehen. Im Taumel der Ereignisse gewinnt der Instinkt zu überleben — sofortige Flucht in diesem Fall — die Oberhand über alles andere. Und plötzlich findet man sich in einer Position wieder, die viel prekärer ist, als die Ausgangssituation. In dem Moment, als ich sie sah, stopfte ich alle meine Sachen in die Hosentaschen und löste die Sicherheitskette vor der Zimmertür. Ich machte das Licht im Bad und die Deckenbeleuchtung im Zimmer aus und rannte zur Balkontür. Sobald ich draußen war, sah ich noch einmal zurück, um mich zu vergewissern, daß ich das Zimmer so verlassen hatte, wie ich es vorgefunden hatte. Mist! Das Licht im Bad war an gewesen. Und ich hatte es ausgemacht. Als wäre ich mit Röntgenaugen ausgestattet, konnte ich auf der anderen Seite der Tür Wendell Jaffe nahen sehen, den Zimmerschlüssel schon gezückt. In meiner Phantasie bewegte er sich schneller als ich mich. Ich rechnete hastig. Es war zu spät, um den Fehler zu korrigieren. Vielleicht hatten sie vergessen, daß sie das Licht angelassen hatten; oder vielleicht glaubten sie, die Birne sei durchgebrannt.
    Ich lief zum Balkongeländer, schwang mein rechtes Bein hinüber, schob meinen Fuß zwischen die Gitterstäbe, holte das andere Bein nach. Ich griff hinüber zum Geländer des Nachbarbalkons und hangelte mich hinüber, als in Jaffes Zimmer das Licht aufflammte. Mein Herz raste, aber wenigstens war ich sicher und wohlbehalten auf dem Nachbarbalkon.
    Wenn nicht der Mann gewesen wäre, der da stand und eine Zigarette rauchte.
    Ich weiß nicht, wer von uns verblüffter war. Er zweifelsohne, da ich ja wußte, was ich hier tat, während er keine Ahnung hatte. Ich war außerdem dadurch im Vorteil, daß die Furcht alle meine Sinne geschärft hatte, so daß meine Wahrnehmung beinahe blitzartig arbeitete.
    Der Mann war weiß.
    Er war in den Sechzigern und fast kahl. Das bißchen Haar, das er noch hatte, war grau. Es war glatt aus dem Gesicht gebürstet.
    Er trug eine Brille mit einem dunklen Gestell, so massiv, daß m an hätte vermuten können, in einem der Bügel verberge sich ein Hörgerät.
    Er roch nach Alkohol. Die Dünste strahlten fast wellenförmig v on seinem Körper aus.
    Er litt an hohem Blutdruck. Sein gerötetes Gesicht glühte förmlich, und seine kurze, stumpfe Nase war so rot wie die eines freundlichen Kaufhausnikolaus.
    Er war kleiner als ich und wirkte daher nicht ganz so bedrohlich. Tatsächlich machte er ein so verwirrtes Gesicht, daß ich versucht war, ihm tröstend den Kopf zu tätscheln.
    Ich erinnerte mich, daß ich den Mann bei meinen unermüdlichen Streifzügen auf der Suche nach

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