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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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lange weiße Weste zum Darüberziehen. Sie hatte gesagt, ich könnte die Kombination mit Accessoires ein bißchen aufmotzen. Haha! Als hätte ich eine Ahnung, wie so was funktioniert. Ich kramte in meinen Schubladen vergeblich nach Schmuckstücken und beschloß schließlich, einfach den langen gehäkelten Läufer umzulegen, den meine Tante für den Toilettentisch gemacht hatte. Ich schlang ihn mir also lässig um den Hals und ließ die beiden Enden vorn herabhängen. Ich fand die Wirkung nicht übel, eine Spur verwegen, wie Isadora Duncan oder Amelia Earhart.
    Der Jachtclub erhebt sich auf Pfählen über dem Strand. In der Nähe ist das Büro des Hafenmeisters, und links schwingt sich wie ein langer gekrümmter Arm die Mole ins Wasser hinaus. Die Brandung donnerte an diesem Abend; es klang wie das Dröhnen von Autos, die über Holzbohlen fahren. Das Meer war merkwürdig unruhig, die weitreichende Wirkung irgendwelcher fernen Unwetter, die uns wahrscheinlich niemals erreichen würden. Ein dichter Dunst verschleierte den Himmel. Durch ihn hindurch konnte ich nur schwach den mondbeleuchteten Horizont erkennen. Der Sand schimmerte weiß, und an den Felsen, die um das Fundament des Baus aufgetürmt waren, hingen Tangsträhnen.
    Selbst vom Fußweg unterhalb konnte ich das grölende Gelächter der Betrunkenen hören. Ich stieg die breite Holztreppe zum Eingang hinauf und trat durch die Glastür ins Innere. Rechts schwang sich eine zweite Treppe in die Höhe, und ich folgte ihr nach oben in die Bar, wo mich Rauchschwaden und Musik vom Band empfingen. Der Raum war L-förmig, das lange Ende den Gästen Vorbehalten, die essen wollten, das kurze denen, die nur trinken wollten. Es war unangenehm laut, obwohl der Speiseraum fast leer und auch an der Bar nicht mehr viel los war. Der Boden war mit Teppich ausgelegt, das ganze obere Stockwerk von großen Fenstern umgeben, die Blick auf den Pazifik boten. Bei Tag konnten die Clubmitglieder das Panorama genießen. Abends warf das schwarze Glas fleckige Spiegelbilder zurück, die zeigten, daß wieder einmal eine gründliche Fensterreinigung angesagt war. Als ich das Pult des Oberkellners erreichte, blieb ich stehen und wartete, während er von der anderen Seite des Raums auf mich zukam.
    »Ja, Madam«, sagte er. Er schien erst vor kurzem befördert worden zu sein, denn er hielt den linken Arm abgewinkelt vor sich, als müßte er immer noch das weiße Serviertuch mit sich herumschleppen.
    »Ich suche Carl Eckert. Ist er heute abend hier?«
    Ich sah, wie sein Blick abwärts glitt zu meinen abgestoßenen Stiefeln und über den langen Rock, die Weste, die Umhängetasche aufwärts wanderte bis zu meinem schlecht geschnittenen Haar, das dank des Windes nach allen Seiten abstand. »Erwartet er Sie?« Sein Ton sagte, daß er bestimmt eher Marsmenschen erwartete.
    Ich drückte ihm eine diskret gefaltete Fünfdollarnote in die Hand. »Jetzt erwartet er mich«, sagte ich.
    Der Mann steckte den Schein ein, ohne ihn anzusehen. Ich wünschte, ich hätte ihm nur einen Dollar gegeben. Er zeigte mir einen Mann, der allein an einem Fenstertisch saß. Ich hatte reichlich Zeit, ihn mir anzusehen, als ich durch den Raum ging. Ich schätzte ihn auf Anfang Fünfzig, noch in einem Alter, in dem man ihn als >jugendlich< bezeichnen konnte. Er war grauhaarig und untersetzt. Das früher einmal gutaussehende Gesicht war jetzt an der Kinnpartie erschlafft, wirkte aber immer noch angenehm. Während die meisten Männer in der Bar lässig gekleidet waren, trug Carl Eckert einen konservativen dunkelgrauen Fischgrätenanzug, dazu ein hellgraues Hemd und eine kleingemusterte dunkelblaue Krawatte. Ich überlegte krampfhaft, was ich eigentlich zu ihm sagen sollte. Er sah mich auf sich zukommen und richtete seinen Blick auf mich, als ich an seinen Tisch trat.
    »Carl?«
    Er lächelte höflich. »Richtig.«
    »Kinsey Millhone. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Ich bot ihm meine Hand. Er stand halb von seinem Stuhl auf, beugte sich höflich vor und reichte mir die Hand. Sein Händedruck war zupackend, die Haut seiner Handfläche eiskalt von seinem gekühlten Glas. »Bitte«, sagte er. Seine Augen waren blau und sein Blick unnachgiebig. Er wies auf einen Stuhl.
    Ich stellte meine Handtasche auf den Boden und setzte mich auf den Stuhl neben seinem. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
    »Das kommt darauf an, was Sie von mir wollen.« Sein Lächeln war freundlich, aber oberflächlich und erreichte niemals seine Augen.
    »Es sieht

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