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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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emphatisch, doch ihr Gesicht mit dem unsicheren Lächeln verriet, daß sie auf die Pointe wartete. Ich fragte mich, wie oft sie eben diese Szene schon in ihrem Kopf durchgespielt hatte; von einem Polizeibeamten oder FBI-Mann, der bei ihr im Wohnzimmer saß und ihr mitteilte, daß ihr Mann quicklebendig sei — oder daß man endlich seine Leiche gefunden habe. Sie wußte wahrscheinlich selbst nicht mehr, was sie eigentlich hören wollte. Ich sah ihr an, daß sie mit widerstreitenden Emotionen kämpfte, von denen die meisten ungut waren.
    Erregt nahm sie einen Zug von ihrer Zigarette, verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln und sagte: »Darf ich mal raten? Ich wette, hier geht’s um Geld. Eine kleine Erpressung vielleicht?«
    »Weshalb sollte ich so etwas tun?« fragte ich.
    »Was soll das Ganze dann? Warum erzählen Sie mir das? Nichts könnte mir gleichgültiger sein.«
    »Ich hoffte, Sie würden mich informieren, falls Ihr Mann versuchen sollte, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen.«
    »Sie glauben, Wendell würde versuchen, mit mir Verbindung aufzunehmen? Das ist blühender Unsinn. Machen Sie sich nicht lächerlich.«
    »Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll, Mrs. Jaffe. Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist —«
    »Was reden Sie überhaupt? Der Mann ist tot! Begreifen Sie das denn nicht? Er entwickelte sich zum Schwindler, zum gemeinen Gauner. Ich hatte es schwer genug, mit all diesen Leuten fertig zu werden, die er betrogen hat. Sie werden mir jetzt bestimmt nicht weismachen, daß er noch am Leben ist«, fuhr sie mich an.
    »Wir glauben, er hat seinen Tod nur vorgetäuscht, wahrscheinlich um einer Strafverfolgung wegen Betrugs und Veruntreuung zu entgehen.« Ich griff nach meiner Handtasche. »Ich habe ein Bild, wenn Sie es sehen möchten. Es wurde von einem Polizeizeichner angefertigt. Es stimmt nicht ganz genau, aber es kommt der Wirklichkeit sehr nahe. Ich habe Ihren Mann selbst gesehen.« Ich nahm die Fotokopie der Zeichnung aus der Tasche, faltete sie auseinander und reichte sie ihr.
    Sie betrachtete das Bild mit einer Intensität, die mich fast verlegen machte. »Das ist nicht mein Mann. Dieser Mensch hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm.« Sie warf das Bild auf den Tisch. Es rutschte vom Rand ab und segelte zu Boden. »Ich dachte, solche Zeichnungen würden mit dem Computer angefertigt. Oder ist die hiesige Polizei dazu zu geizig?« Sie griff wieder nach meiner Karte und las meinen Namen. Ich sah, daß ihre Hand zitterte. »Hören Sie, Miss Millhone, mir scheint, Sie brauchen eine Erklärung. Mein Mann hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Ob er tot oder lebendig ist, ist für mich völlig belanglos. Wollen Sie wissen, wieso?«
    Sie war dabei, sich in einen ordentlichen Wutanfall hineinzusteigern. »Soviel ich weiß, haben Sie ihn für tot erklären lassen«, sagte ich.
    »Genau. Sie haben es erfaßt. Sehr gut«, sagte sie. »Ich habe seine Lebensversicherung kassiert. So tot ist er. Die Sache ist aus und vorbei. Finito, kapiert? Ich habe mein eigenes Leben, und ich lebe es weiter. Wendell Jaffe interessiert mich nicht. Ich habe andere Probleme, um die ich mich kümmern muß, und soweit es mich betrifft —«
    Das Telefon läutete, und sie sah sich gereizt um. »Da geht der Anrufbeantworter ran.«
    Das Gerät schaltete sich ein, und Dana sprach den üblichen Text bezüglich Name, Nummer und zu hinterlassender Nachricht. Unwillkürlich drehten wir uns beide herum und hörten zu. »Bitte warten Sie den Signalton ab«, sagte Danas Stimme, und wir warteten beide gehorsam.
    Dann meldete sich eine Frauenstimme, etwas befangen und künstlich, wie das so ist, wenn man mit einem Anrufbeantworter spricht. »Hallo, Dana. Mein Name ist Miriam Salazar. Sie sind mir von Judith Prancer empfohlen worden. Meine Tochter Angela heiratet im kommenden April, und ich dachte, wir könnten uns vielleicht einmal unterhalten. Es wäre nett, wenn Sie mich zurückrufen würden. Vielen Dank.« Sie hinterließ ihre Telefonnummer.
    Dana strich sich ihr Haar zurück und prüfte den Sitz des Tuchs in ihrem Nacken. »Lieber Gott, das war ein wahnsinniger Sommer«, bemerkte sie im Konversationston. »Ich hatte jedes Wochenende ein oder zwei Hochzeiten. Außerdem bereite ich eine kleine Ausstellung zum Thema Hochzeit vor.«
    Ich starrte sie wortlos an. Genau wie viele andere Menschen schaffte sie es, mitten in einem emotionsgeladenen Gespräch Belanglosigkeiten von sich zu geben. Und ich wußte kaum, wie ich weitermachen sollte.

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