Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Klemmen in meinem Haar befestigt. Die meisten hatte ich bis zum Ende des Abends verloren. Das Kleid selbst war eine Nachahmung eines Ballerinakostüms — Schwanensee mit knöchellangem Rock. Meine Tante spritzte Klebstoff drauf und streute Flitter darüber. Es glitzerte herrlich. Nie hatte ich mich so schön gefühlt. Ich weiß noch, daß ich an dem Abend im Schmuck meines Netzschleiers vor dem Spiegel stand und dachte, daß dies wohl das schönste Kleid sei, das ich je besitzen würde. Und ich habe auch wirklich nie wieder etwas Ähnliches besessen, aber in Wahrheit vermisse ich weniger das Kleid als das Gefühl von damals.
Dana kam ins Wohnzimmer zurück und drückte Michael einen Zwanziger in die Hand. Sie sprachen kurz miteinander. Während ich wartete, nahm ich eines der in Silber gerahmten Fotos zur Hand. Es schien Wendell Jaffe im Highschool-Alter zu zeigen.
Michael ging. Dana kam zu dem Tisch, vor dem ich stand. Sie nahm mir das Bild aus der Hand und stellte es wieder auf den Tisch.
Ich sagte: »Ist das Ihr Mann in der Highschool?«
Sie nickte zerstreut. »Cottonwood Academy. Die gibt’s inzwischen nicht mehr. Seine Klasse war die letzte, die dort abgeschlossen hat. Seinen Schulring habe ich Michael geschenkt. Den Collegering bekommt Brian, wenn es soweit ist.«
»Wenn was soweit ist?«
»Ach, wenn es einen besonderen Anlaß gibt. Ich sage ihnen, das sei etwas, was ihr Vater und ich immer besprochen hätten.«
»Da tragen Sie aber schon ein bißchen dick auf, finden Sie
nicht?«
Dana zuckte mit den Achseln. »Sie müssen von Wendell nicht genauso negativ denken wie ich. Sie sollen einen Vater haben, zu dem sie aufsehen können, auch wenn es nicht wirklich so ist. Sie brauchen ein Vorbild.«
»Und da bieten Sie ihnen eine idealisierte Version?«
»Vielleicht ist es ein Fehler, aber was soll ich denn sonst tun?« fragte sie errötend.
»Ja, wirklich. Besonders wenn er solche Sachen macht.«
»Ich weiß ja, daß ich ihn besser hingestellt habe, als er ist, aber ich will den Mann doch vor seinen Söhnen nicht schlecht machen.«
»Das kann ich verstehen. Wahrscheinlich würde ich an Ihrer Stelle genauso handeln«, sagte ich.
Impulsiv legte sie mir die Hand auf den Arm. »Bitte lassen Sie uns in Ruhe. Ich weiß nicht, was vorgeht, aber ich möchte nicht, daß die Kinder hineingezogen werden.«
»Ich werde Sie nicht belästigen, wenn es sich vermeiden läßt, aber Sie müssen es ihnen trotzdem sagen.«
»Warum?«
»Weil Ihnen sonst vielleicht Ihr Mann zuvorkommt und Ihnen die Folgen möglicherweise gar nicht gefallen würden.«
8
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Es war fast zehn Uhr abends, als ich über den Parkplatz hinter dem Santa Teresa Jachtclub ging. Nach meinem Besuch bei Dana Jaffe fuhr ich auf die 101 und raste die Küste hinauf zu meiner Wohnung, wo ich in aller Eile mehrere Kleider probierte, die Vera abgelegt und mir vermacht hatte. Ihrer völlig unvoreingenommenen Meinung nach bin ich ein absoluter Modemuffel, und jetzt versucht sie, mir wenigstens die Grundlagen modischen Schicks beizubringen. Vera hat es zur Zeit mit diesen Annie-Hall-Ensembles, in denen man aussieht, als hätte man vor, ein Leben lang auf Parkbänken zu schlafen. Jacken über Westen über Kitteln über langen Hosen.
Ich wühlte die Sachen durch und fragte mich dabei verzweifelt, welches Stück denn nun mit welchem zu kombinieren sei. Bei diesem Quatsch brauche ich wirklich einen persönlichen Berater, jemanden, der mir die taktischen Einzelheiten erklärt. Da Vera ungefähr zehn Kilo mehr wiegt als ich und gut zehn Zentimeter größer ist, ließ ich die Hosen links liegen. In denen würde ich doch nur aussehen wie einer der sieben Zwerge, dachte ich. Sie hatte mir zwei lange Röcke mit Gummibund geschenkt und behauptet, die würden mit meinen schwarzen Lederstiefeln ganz toll aussehen. Ein Vierzigerjahrekleid war auch da, bunt bedruckter Rayon, tief angesetzte Taille, knöchellanger Rock. Ich zog das Kleid über und betrachtete mich im Spiegel. Ich hatte Vera in dem Ding gesehen, und sie hatte wie ein Vamp gewirkt. Ich sah aus wie eine Sechsjährige, die feine Dame spielt.
Ich entschied mich schließlich für einen der langen Röcke, schwarze Waschseide. Sie hatte wahrscheinlich gemeint, ich sollte ihn kürzen, aber ich schlug einfach den Bund mehrmals um. Sie hatte mir unter anderem ein loses Oberteil in einer Farbe geschenkt, die sie als >taupe< bezeichnete — eine Mischung aus Grau und alten Zigarrenstummeln — , und dazu eine
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