Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
und manche Gelder, die für ein neues Projekt bestimmt waren, wurden dazu benutzt, ein altes abzuschließen.«
»Und dann kam die Immobilienflaute.«
Tommy hielt den Daumen nach unten. »Du sagst es. Die Firma hatte plötzlich Mühe, neue Anleger aufzutreiben. Und nach einer Weile wurde Jaffe wohl klar, daß sein schönes Kartenhaus kurz vor dem Einsturz war. Außerdem kündigte ihm das Finanzamt, wie ich hörte, eine Betriebsprüfung an. Das war der Moment, als er auf seinem Boot davonsegelte. Eines kann ich dir sagen: Dieser Bursche besaß eine solche Überzeugungskraft, daß viele der Anleger selbst dann noch an ihn glaubten, als sich herausstellte, daß sie ihr ganzes gutes Geld verloren hatten. Sie waren überzeugt, es gäbe eine andere Erklärung als Veruntreuung für die fehlenden Gelder. Und da saß dann Eckert in der Tinte.«
»Wußte Eckert, was Jaffe trieb?«
»Meiner Meinung nach, ja. Er hat immer behauptet, er hätte keine Ahnung gehabt, was Jaffe im Schilde führte, aber er hat doch die ganze interne Kleinarbeit gemacht, er muß es also gewußt haben. Eindeutig. Er konnte an seiner Unschuld nur festhalten, weil niemand da war, der ihm widersprechen konnte.«
»Genau wie das jetzt bei Brian Jaffe der Fall ist«, bemerkte ich.
Tommy lächelte. »In solchen Fällen ist es immer sehr hilfreich, wenn die Komplizen tot sind.«
Es war Viertel nach eins, als ich aus dem Gebäude trat und im Zickzack über den vollen Parkplatz zu der Ecke ging, in der mein Auto stand. Auf der Fahrt zum Highway 101 schaffte ich es, sämtliche roten Ampeln zwischen mir und der Auffahrt mitzunehmen. Bei jedem Halt vertrieb ich mir die Zeit damit, die Frauen in den anderen Autos zu beobachten, die den Moment vor dem roten Licht benutzten, um ihr Augen-Make-up zu prüfen oder sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren. Ich verstellte meinen Rückspiegel und warf einen raschen Blick auf meinen eigenen borstigen Schopf. Ich war fast sicher, daß das Haar an der kleinen Stoppelstelle über meinem linken Ohr schon ein wenig nachgewachsen war.
Unwillkürlich glitt mein Blick zu dem Wagen hinter mir. Es durchzuckte mich, als hätte ich einen elektrisch geladenen Draht berührt. Renata saß am Steuer, die Stirn leicht gerunzelt, ihre Aufmerksamkeit auf ihr Autotelefon konzentriert. Sie war allein im Wagen, der nicht nach einem Mietwagen aussah, es sei denn, Avis oder Hertz hatten sich jetzt Jaguar zugelegt. Die Ampel schaltete um, und ich fuhr los. Renata folgte mir mit gleicher Geschwindigkeit. Ich war auf der inneren Spur und fuhr in südlicher Richtung. Sie scherte auf die andere Spur aus, gab Gas und überholte mich von rechts.
Ich sah ihren rechten Blinker aufleuchten, zog den Wagen auf die andere Spur hinüber und reihte mich hinter ihr ein. Rechts von uns tauchte ein großes Einkaufszentrum auf. Ich sah, wie sie abbog, doch ehe ich es ihr gleichtun konnte, schob sich ein anderer Wagen vor mich. Ich bremste scharf ab, um einen Auffahrunfall zu vermeiden, und musterte dabei den Parkplatz vor mir. Renata war sofort links abgebogen und hatte ihren Jaguar dann in die zweite Durchfahrt gelenkt, die sich über die ganze Länge des Einkaufszentrums zu erstrecken schien. Ich bog eine volle Minute nach ihr in die Einfahrt ein. Ich raste auf einem Parallelkurs über den Parkplatz und hüpfte über Rüttelschwellen wie ein Skifahrer über eine Buckelpiste. Die ganze Zeit dachte ich, sie würde irgendwo parken, aber sie fuhr immer weiter. Zwei Autoreihen trennten uns; einmal konnte ich sie deutlich erkennen und sah, daß sie immer noch am Telefon war. Ganz gleich, was der Inhalt des Gesprächs war, es schien sie bewogen zu haben, den Gedanken an einen Einkaufsbummel fallenzulassen. Ich sah, wie sie sich nach rechts beugte und den Hörer auflegte. Gleich darauf erreichte sie eine Ausfahrt, bog scharf links ab und reihte sich wieder in den Verkehrsstrom auf der Straße ein. Ich folgte ihr, durch zwei Autos von ihr getrennt. Ich glaubte nicht, daß sie mich bemerkt hatte, und bezweifelte, daß sie mich in einer so anderen Umgebung überhaupt erkennen würde.
Sie machte Tempo, als sie sich der Auffahrt zum Highway näherte. Der Fahrer vor mir wurde langsamer. »Fahr doch«; schimpfte ich ungeduldig. Der Mann war alt und vorsichtig; scherte weit nach links aus, um nach rechts in die Tankstelle an der Ecke einzubiegen. Als ich endlich an ihm vorbei war und die Rampe hinaufbrauste, war Renatas Jaguar unter den nach Norden fahrenden Autos
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