Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Prüfung gemacht.«
»Ach was! Das ist ja interessant.«
»Ja. Gleich nach dem Studium hat er Riesenmist gebaut und am Ende auf eine Anwaltslaufbahn verzichtet. Ein typischer Fall: Intelligent und akademisch, aber er hatte eine schlechte Veranlagung, die sich damals schon gezeigt hat.«
»Was hat er denn angestellt?«
»Es ging um eine Prostituierte, die bei irgendwelchen brutalen sexuellen Praktiken ums Leben gekommen ist. Jaffe war der Freier. Vor Gericht machte er geltend, es sei Totschlag gewesen, und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Und mit so einem schwarzen Fleck auf der weißen Weste kann man nicht Anwalt werden. Dazu ist Perdido zu klein.«
»Er hätte doch woandershin gehen können.«
»Das ist ihm anscheinend nicht eingefallen.«
»Ich finde die Geschichte irgendwie seltsam. Ich hätte ihn nicht für einen Mann gehalten, der zur Gewalt neigt. Wie ist er von Totschlag zu Betrug gekommen?«
»Wendell Jaffe ist nicht dumm. Es war nicht etwa so, daß er in einer Riesenvilla mit Swimmingpool und Tennisplätzen wohnte. Er kaufte ein solides Fünfzimmerhaus in einer guten Mittelstandswohngegend. Er und seine Frau fuhren amerikanische Autos, Kompaktwagen ohne Luxusaccessoires und keineswegs neu. Sein Wagen war sechs Jahre alt. Seine beiden Söhne gingen auf öffentliche Schulen. Im allgemeinen fällt bei solchen Leuten auf, daß sie auf großem Fuß leben, aber auf Jaffe traf das nicht zu. Keine Designerkleidung. Er und seine Frau machten keine großen Reisen und ließen keine großen Feten steigen. Nach Ansicht seiner Anleger — und er beeilte sich, ihnen das zu bestätigen — steckte er jeden Penny direkt wieder ins Geschäft.«
»Ja, was war dann der Trick?«
»Also, ich habe ein bißchen nachgegrast, als ich hörte, daß du kommst. Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, war das Ganze ziemlich simpel. Er und Eckert hatten ungefähr zweihundertfünfzig Anleger, von denen einige bis zu fünfundzwanzig- und fünfzigtausend Dollar investierten. CLS kassierte dann erst mal Honorare und Gebühren.«
»Auf der Grundlage eines Prospekts?«
»Richtig. Als erstes kaufte Jaffe nämlich eine Mantelfirma und taufte sie CLS Inc.«
»Und was war das für eine Gesellschaft?«
»Eine Treuhand. Dann machte er Schlagzeilen mit dem Kauf eines Hundertmillionen-Dollar-Komplexes und verkündete sechs Monate später, er hätte ihn für hundertneunundachtzig Millionen verkauft. In Wirklichkeit ist das Geschäft nie zustande gekommen, aber das wußte die Öffentlichkeit nicht. Jaffe beeindruckte seine Anleger mit einem tollen, ungeprüften Finanzbericht, der Aktiva in Höhe von über fünfundzwanzig Millionen Dollar auswies. Danach war es ein Kinderspiel. Sie kauften Immobilien und täuschten Gewinne vor, indem sie sie an eine andere ihrer Mantelfirmen verkauften und auf diese Weise den Wert der Grundstücke künstlich aufblähten.«
»Ja, Wahnsinn!« sagte ich.
»Es war ein typisches Schneeballgeschäft. Einige von den Leuten, die schon früh eingestiegen waren, machten Gewinne wie die Banditen. Achtundzwanzig Prozent auf die investierte Summe. Es war nichts Ungewöhnliches, daß sie gleich noch einmal investierten, um von dem geschäftlichen Riecher der Herren von CLS zu profitieren. Wer hätte da widerstehen können? Jaffe schien ein ernsthafter, beschlagener, fleißiger, aufrichtiger und konservativer Mann zu sein. Er hatte nichts von einem Scharlatan an sich. Er zahlte gute Gehälter und behandelte seine Angestellten anständig. Er schien eine glückliche Ehe zu führen und ein guter Familienvater zu sein. Er war ein bißchen ein Workaholic, aber er schaffte es, ab und zu auch mal Urlaub zu machen: zwei Wochen im Mai, da fuhr er jedes Jahr zum Angeln, und noch mal zwei Wochen im August, um mit der Familie Campingferien zu machen.«
»Mann, du hast dich wirklich kundig gemacht. Und welche Rolle hat Carl Eckert gespielt?«
»Jaffe hat die Firma nach außen vertreten. Alles übrige hat Eckert erledigt. Jaffes Talent war die Werbung. Er war dabei so zurückhaltend und wirkte so unglaublich aufrichtig, daß man am liebsten gleich die Brieftasche gezogen und ihm alles gegeben hätte, was man besaß. Die beiden haben gemeinsam verschiedene Immobiliensyndikate gegründet. Den Anlegern wurde weisgemacht, ihr Geld läge auf einem separaten Konto, aus dem einzig und allein ein ganz bestimmtes Projekt finanziert würde. In Wirklichkeit wurden die Mittel für die verschiedenen Projekte alle in einen Topf geworfen
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