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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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nicht weiter schlimm, da er selbst die Maschine einschaltete und die Kassette einlegte, während er mir seine Erklärungen gab. Schließlich überließ er es aber doch mir, mich durch das Band bis zu dem gewünschten Dokument hindurchzuspulen. Und plötzlich hatte ich sie vor mir — Namen und persönliche Daten, sauber verzeichnet in einem Dokument, das beinahe fünfzig Jahre alt war. Terrence Randall Millhone, wohnhaft in Santa Teresa, Kalifornien, und Rita Cynthia Kinsey, wohnhaft in Lompoc, Kalifornien, hatten am 18. November 1935 die Ehe geschlossen. Er war damals dreiunddreißig Jahre alt gewesen und hatte als Beruf Briefträger angegeben. Der Name seines Vaters war Quillen Millhone. Der Mädchenname seiner Mutter war Dace. Rita Kinsey war zur Zeit der Eheschließung achtzehn Jahre alt gewesen, ohne Beruf wie es schien, Tochter von Burton Kinsey und Cornelia Straith LaGrand. Ein Richter Stone vom Berufungsgericht Perdido hatte sie nachmittags um vier Uhr in Santa Teresa getraut. Die Trauzeugin, deren Unterschrift die Urkunde zierte, war Virginia Kinsey gewesen, meine Tante Gin. Da waren sie also, die drei, wie sie zusammen vor dem Richter gestanden hatten, nicht ahnend, daß in zwanzig Jahren Mann und Frau tot sein würden. Soviel ich wußte, gab es von der Hochzeit keine Fotografien und keinerlei Andenken. Ich hatte nur ein oder zwei Bilder von ihnen gesehen, die später aufgenommen worden waren. Irgendwo hatte ich ein paar Fotos aus meiner Säuglings- und Kleinkinderzeit, aber Aufnahmen von den Angehörigen meiner Eltern existierten nicht.
    Ich wurde mir bewußt, in was für einem Vakuum ich lebte. Andere Leute haben Anekdoten, Fotoalben, Briefe, Familienfeiern — alles, was zur Tradition einer Familie gehört. Ich hatte praktisch nichts. Die Vorstellung, daß die Familie meiner Mutter noch immer in Lompoc lebte, beschwor merkwürdige, einander widersprechende Emotionen herauf. Und was war mit der Familie meines Vaters? Niemals hatte ich von den Millhones gehört.
    Ich machte eine plötzliche Perspektivveränderung durch. Blitzartig erkannte ich, was für eine perverse Genugtuung es mir verschafft hatte, mit keinem Menschen verwandt zu sein. Ich hatte es tatsächlich geschafft, meine Isolation als Anlaß zu nehmen, mich überlegen zu fühlen. Ich war nicht ein Durchschnittsprodukt des Mittelstands. Ich hatte keinen Anteil an irgendwelchen verwickelten Familiendramen — den Fehden, stillschweigenden Bündnissen, geheimen Vereinbarungen und kleinlichen Schikanen. Natürlich hatte ich auch an den angenehmen Dingen keinen Anteil, aber war das so schlimm? Ich war anders. Ich war etwas Besonderes. Bestenfalls hatte ich mich selbst erschaffen; schlimmstenfalls war ich das unglückliche Werk meiner Tante mit ihren verschrobenen Vorstellungen von der Erziehung kleiner Mädchen. Wie dem auch sein mochte, ich betrachtete mich selbst als Außenseiterin und Einzelgängerin, und es gefiel mir so. Nun aber mußte ich mich mit dieser unbekannten Familie befassen und mit der Möglichkeit, auf sie Anspruch zu erheben oder von ihr in Anspruch genommen zu werden.
    Ich spulte das Band zurück und brachte die Kassette wieder an die Theke. Auf dem Weg zu meinem Auto warf ich einen Blick zur Staatsbibliothek, die sich rechts von mir befand. Dort gab es ein Telefonbuch von Lompoc. Aber interessierte mich das überhaupt? Widerstrebend blieb ich stehen. Es ist doch nur eine Information, sagte ich mir. Du mußt keine Entscheidung treffen, du brauchst dich nur zu informieren.
    Ich machte einen Schwenk nach rechts, stieg die Treppe hinauf und ging in das Gebäude. Adreß- und Telefonbücher aller Orte des Staates befanden sich in der ersten Etage. Ich suchte mir das Telefonbuch von Lompoc heraus und blätterte gleich im Stehen. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, es sei mir so wichtig, daß ich mich dazu setzen müßte.
    Unter >Kinsey< gab es nur einen Eintrag, nicht auf Burton, sondern auf Cornelia, die Mutter meiner Mutter. Es stand nur die Telefonnummer dabei, keine Adresse. Ich suchte das Adreßbuch für Lompoc und die Vandenberg Air Force Base heraus, schlug dort auf, wo die Telefonnummern nach örtlichen Vorwahlnummern aufgelistet waren und fand Cornelia unter der Anschrift Willow Avenue. Ich schaute im Adreßbuch vom Vorjahr nach und sah, daß Burton damals noch mit ihr zusammen eingetragen gewesen war. Die naheliegende Schlußfolgerung war, daß er in der Zwischenzeit verstorben war. Prächtig. Da erfahre ich zum erstenmal,

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