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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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er wirkte zaghaft. Ich hatte schon Augen wie seine gesehen, sehr klar, sehr blau, rührend in ihrer Unschuld. Mein geschiedener Mann Daniel hatte auch so etwas an sich, einen Aspekt seines Wesens, der unglaublich sanft und kindlich war. Daniel war drogenabhängig. Er war außerdem ein Lügner und ein Betrüger im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und intelligent genug, um zwischen Recht und Unrecht unterscheiden zu können. Dieser Junge war etwas anders. Tiller hatte behauptet, er sei ein Soziopath, aber da war ich noch nicht sicher. Er hatte die gleichen hübschen Gesichtszüge wie Michael, aber während Michael dunkel war, war er blond. Beide hatten eine schlanke Figur, Michael war jedoch größer und wirkte so, als besäße er mehr Substanz.
    Brian setzte sich, lehnte sich mit ausgestreckten Beinen zurück und hielt die Hände lose zwischen seinen Schenkeln. Er schien schüchtern zu sein, aber vielleicht war das nur Theater — um sich bei den Erwachsenen lieb Kind zu machen. »Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie hat mir gesagt, daß Sie vielleicht kommen würden.«
    »Hat sie Ihnen auch gesagt, was ich will?«
    »Nur daß es sich um meinen Vater handelt. Sie sagt, er ist vielleicht am Leben. Stimmt das?«
    »Mit Sicherheit wissen wir es noch nicht. Ich habe den Auftrag, cs festzustellen.«
    »Haben Sie meinen Vater gekannt? Ich meine, bevor er — na ja, verschwunden ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Man hat mir nur Fotos von ihm gegeben und gesagt, wo er zuletzt gesehen wurde. Ich habe dort tatsächlich einen Mann angetroffen, der große Ähnlichkeit mit ihm hatte, aber er verschwand plötzlich wieder. Ich hoffe immer noch, es wird mir gelingen, ihn ausfindig zu machen, aber im Augenblick habe ich keinerlei Anhaltspunkte. Ich persönlich bin überzeugt, daß der Mann Ihr Vater war«, fügte ich hinzu.
    »Das ist ja Wahnsinn! Sich vorzustellen, daß er vielleicht lebt! Ich kann’s nicht fassen. Ich meine, ich weiß nicht mal, wie das wäre.« Er hatte einen vollen Mund und Grübchen. Es fiel mir schwer zu glauben, daß er diese Naivität Vortäuschen konnte.
    »Ja«, sagte ich, »das ist sicher ein merkwürdiges Gefühl.«
    »Hey, ehrlich... wo ich jetzt gerade so im Dreck sitze. Ich würde nicht wollen, daß er mich so sieht.«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn er wirklich hierher zurückkommt, wird er wahrscheinlich selbst in Schwierigkeiten geraten.«
    »Ja, das hat meine Mutter auch gesagt. Ich glaub’, sie war nicht besonders erfreut. Na ja, kann man ihr wahrscheinlich nicht übelnehmen nach allem, was passiert ist. Ich meine, wenn er wirklich die ganze Zeit am Leben war, dann heißt das doch, daß er sie ganz gemein aufs Kreuz gelegt hat.«
    »Haben Sie ihn noch klar in Erinnerung?«
    »Eigentlich nicht. Michael — mein Bruder — schon. Haben Sie ihn kennengelernt?«
    »Flüchtig. Bei Ihrer Mutter.«
    »Haben Sie meinen kleinen Neffen gesehen, Brendan? Der ist echt cool. Fehlt mir, der kleine Kahlkopf.«
    Genug von diesem Gerede. Ich wurde ungeduldig. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen über Mexicali stelle?«
    Man sah ihm an, daß ihm unbehaglich zumute wurde. Er setzte sich gerade hin und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Hey, Mann, das war übel. Da darf ich gar nicht dran denken. Ich hab’ niemanden umgebracht, damit hatte ich nichts zu tun, ich schwör’s. Julio und Ricardo hatten die Kanone«, behauptete er.
    »Was ist mit dem Ausbruch? Wie ist es dazu gekommen?«
    »Hm, äh — na ja, wissen Sie, ich glaub’, meinem Anwalt wär’s nicht recht, wenn ich darüber rede.«
    »Ich habe nur zwei Fragen — im strengsten Vertrauen. Ich möchte mir gern ein Bild machen können, was hier eigentlich vorgeht«, erklärte ich. »Was Sie mir sagen, bleibt unter uns.«
    »Es ist besser, ich sage nichts«, murmelte er.
    »War es Ihr Einfall?«
    »Nie im Leben. Sie halten mich wahrscheinlich für einen Idioten. Es war blöd von mir, daß ich mitgemacht hab’... Das sehe ich jetzt ein — aber damals wollte ich nur raus. Um jeden Preis. Waren Sie mal im Knast?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Da können Sie froh sein.«
    Ich sagte: »Von wem stammte der Einfall?«
    Er sah mir direkt ins Gesicht. Seine blauen Augen waren so klar wie ein Swimmingpool. »Ernesto hat’s vorgeschlagen.«
    »Sie waren ziemlich gut befreundet?«
    »Keine Spur. Ich hab’ die nur gekannt, weil wir in Connaught alle im selben Pavillon gewohnt haben. Der andere, Julio, hat gesagt, er

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