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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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einen Blick in meine Richtung, und Michael machte uns ziemlich halbherzig miteinander bekannt. »Das ist Kinsey Millhone. Sie ist die Privatdetektivin, die meinen Vater sucht.« Mit einer Kopfbewegung zu Juliet sagte er: »Das ist Juliet, meine Frau.«
    »Hallo, guten Abend«, sagte ich.
    »Nett, Sie kennenzulernen«, erwiderte sie, während ihr Blick schon wieder zu der Zeitschrift abglitt. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, daß ich um ihre Aufmerksamkeit mit einem Artikel über die Kunst des Zuhörens konkurrieren mußte. Sie tastete nach der Zigarettenpackung, die neben ihr auf dem Bett lag, schob suchend den Zeigefinger hinein, nahm die Packung zur Hand und sah hinein. Mit einem Flunsch der Gereiztheit stellte sie fest, daß sie leer war. Ich war fasziniert von ihrem Anblick. Mit diesem Bürstenhaarschnitt sah sie aus wie ein halbwüchsiger Junge mit Lidschatten und Riesenohrringen. Sie versetzte Michael einen Stoß mit dem Fuß.
    »Du hast doch gesagt, du gehst noch was einkaufen. Ich hab’ keine Zigaretten mehr, und der Kleine braucht Pampers. Kannst du jetzt gleich gehen? Bitte?«
    Seine ganze Funktion als Ehemann schien darin zu bestehen, Zigaretten und Pampers einzukaufen. Ich gab dieser Ehe noch bestenfalls zehn Monate. Bis dahin würde sie dieses ewige Zuhausesitzen vor Langeweile nicht mehr aushalten. Es war merkwürdig, aber Michael schien mir, so jung er war, der Typ zu sein, der wirklich bereit war, es ernsthaft zu versuchen. Juliet war diejenige, die gereizt und unzufrieden werden und ihre Pflichten vernachlässigen würde, bis die Beziehung schließlich in die Brüche ging. Am Ende würde wahrscheinlich Dana das Kind großziehen müssen.
    Michael, dessen Aufmerksamkeit immer noch auf das Baseballspiel gerichtet war, gab eine vage Antwort, ohne auch nur Anstalten zu machen, sich zu erheben. Er spielte mit dem Schulring seines Vaters von der Cottonwood Academy, drehte ihn endlos an seinem Finger.
    »Michael! Kannst du mir vielleicht sagen, was ich tun soll, wenn Brendan sich wieder naß macht? Ich hab’ eben die letzte Windel genommen.«
    »Ja, ja, gleich, Schatz. Gleich, okay?«
    Juliet schnitt ein Gesicht und verdrehte die Augen.
    Er spürte ihre Verärgerung und drehte sich um. »Ich geh’ ja gleich. Schläft der Kleine? Mama wollte gern, daß sie ihn sieht.«
    Verblüfft begriff ich, daß das >sie< sich auf mich bezog.
    Juliet schwang ihre Beine vom Bett. »Ich weiß nicht. Ich kann ja mal nachsehen. Ich hab’ ihn gerade erst hingelegt. Er schläft fast nie ein, wenn der Fernseher so laut ist.«
    Sie stand auf und ging in den schmalen Flur zwischen den Zimmern. Ich folgte ihr und versuchte krampfhaft, mir einen freundlichen Gemeinplatz über Babys einfallen zu lassen, für den Fall, daß der Kleine einen Eierkopf hatte.
    Ich bemerkte: »Ich sollte vielleicht besser nicht so nah an ihn ran gehen, sonst bekommt er noch meine Erkältung.« Manche Mütter wollten ja allen Ernstes, daß man das Kindchen einmal in den Armen hielt.
    Juliet sah in das kleine Zimmer. Eine ganze Mauer von Schrankkartons war in das Zimmer bugsiert worden, alle voll schwer behangener Bügel, die an den oben in den Kartons angebrachten Metallstangen hingen. In der Mitte dieser Festung aus zerknitterter Baumwolle und dicker Winterkleidung stand das Kinderbettchen. Aus irgendeinem Grund stellte ich mir vor, daß das Zimmer auch nach Monaten noch so aussehen würde. Immerhin war es in diesem Dschungel alter Wintermäntel ruhiger, und ich vermutete, Brendan würde sich mit der Zeit an den Geruch nach Mottenkugeln und verfilzter Wolle gewöhnen. Ein Hauch im späteren Leben, und es würde ihm ergehen wie Marcel Proust. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und spähte Juliet über die Schulter.
    Brendan saß aufrecht in seinem Bett, den Blick auf die Tür gerichtet, als wüßte er, daß sie kommen und ihn hochnehmen würde. Er war ein richtiges Bilderbuchbaby: rundlich und wohlgeformt, mit großen blauen Augen, Grübchen in den Wangen und den zwei ersten Zähnchen. Er hatte einen blauen Flanellpyjama an, und hielt die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, um sich im Gleichgewicht zu halten. Kaum gewahrte er Juliet, da verzog er das Gesichtchen zu einem strahlenden Lächeln und begann erregt mit den Armen zu wedeln. Juliets Gesicht verlor den verdrossenen Ausdruck. Sie begrüßte ihn in einer eigenen Sprache, und er gluckste und krähte vor Vergnügen. Als sie ihn hochnahm, drückte er seine Wange an ihre Schulter und preßte sich

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