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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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im Augenblick sehr zahm, doch die Wetterkarte in der Morgenzeitung hatte einen ostpazifischen Hurricane gezeigt, der sich der kalifornischen Küste näherte, und es hieß, er wandere nordwärts die Küste hinauf. Mir fiel auf, daß der Horizont von schwarzen Wolken gesäumt war, die wie eine lange Reihe von Bürsten frühe Dunkelheit hereinfegten. Rincon Point mit seinen Felsvorsprüngen und den vorgelagerten Sandbänken scheint turbulentes Wetter förmlich anzuziehen.
    Rincon ist das spanische Wort für eine Bucht, die durch eine ins Meer hinausragende Landzunge gebildet wird. Hier reihen sich mehrere solche Buchten aneinander, und ein ganzes Stück weit grenzt der Ozean direkt an die Straße. Bei Flut brechen sich die Wellen an der Böschung und schieben eine weiße Wand schäumenden Wassers in die Höhe. Auf der anderen Seite, links von mir, waren terrassenförmig angelegte Blumenfelder. Die Rot-, Gold- und Magentatöne von Zinnien glühten im schwindenden Licht.
    Es war kurz nach sieben, als ich an der Perdido Street vom Highway abfuhr. Ich brauste gerade noch bei Grün über die Kreuzung und überquerte die Main Street in nördlicher Richtung. Ich fuhr durch die Boulevards, bog an der Median Street links ab und fuhr etwa sechs Häuser weiter unten an den Bordstein. Michaels gelber Käfer stand in der Einfahrt. Die Fenster vorn im Haus waren dunkel, aber hinten, wo ich die Küche und ein Schlafzimmer vermutete, brannte Licht.
    Ich klopfte und wartete auf der kleinen Veranda, bis Michael mir aufmachte. Er trug einen blauen Overall wie ein Installateur. Wieder fiel mir die Ähnlichkeit der beiden Brüder auf. Der eine war blond, der andere dunkel, aber beide hatten sie Danas vollen Mund und feingemeißelte Züge mitbekommen. Michael schien mich erwartet zu haben; er zeigte jedenfalls keine Überraschung, als er mich sah.
    »Kann ich einen Moment reinkommen?«
    »Bitte. Aber ich warne Sie, hier schaut’s fürchterlich aus.«
    »Das macht nichts«, antwortete ich.
    Ich folgte ihm durch das Haus nach hinten. Im Wohnzimmer und in der Küche standen immer noch geöffnete, aber größtenteils nicht ausgepackte Kartons herum, aus denen Wolken verknüllten Zeitungspapiers quollen.
    Michael und Juliet hatten sich in das größere der beiden kleinen Zimmer geflüchtet, einen Raum von vielleicht zwölf Quadratmetern, der fast ganz von dem französischen Doppelbett und dem großen Farbfernsehgerät eingenommen wurde, in dem gerade ein Baseballspiel gezeigt wurde. Pizzaschachteln und Getränkedosen drängten sich auf der Kommode und dem Toilettentisch. Das Zimmer war unaufgeräumt, es roch nach feuchten Handtüchern, Pommes frites, Zigarettenqualm und Männersocken. Im Abfalleimer aus Plastik mit dem Schwingdeckel häuften sich die gebrauchten Pampers.
    Michael, dessen Aufmerksamkeit sofort wieder von dem Spiel im Fernsehen gefangen war, hockte sich auf die Kante des großen Betts, auf dem Juliet sich ausgestreckt hatte und Cosmopolitan las. Neben ihr auf der Tagesdecke stand ein Aschenbecher voller Stummel. Sie war barfuß, hatte Shorts und ein fuchsienrotes Top an. Sie konnte nicht älter als achtzehn oder neunzehn sein und hatte alles Übergewicht, das sie sich vielleicht in der Schwangerschaft zugelegt hatte, schon wieder verloren. Ihr Haar war sehr kurz geschnitten, gaminhaft, um die Ohren herum geschoren. Hätte ich sie nicht besser gekannt, ich hätte vermutet, sie sei soeben ins Militär eingetreten und auf dem Weg zum Ausbildungslager. Sie hatte ein sommersprossiges Gesicht, und ihre blauen Augen waren von dunklen Wimpern umkränzt, die mit Tusche verklebt waren. Ihre Lider waren in zwei Farben getönt, blau und grün. In den Ohren trug sie große Kreolen aus pinkfarbenem Kunststoff, offensichtlich auf ihr Top abgestimmt. Sichtlich verärgert über die Lautstärke des Fernsehapparats legte sie ihre Zeitschrift weg. Auf dem Bildschirm erschien mit schrillen Fanfarenstößen der Werbespot eines örtlichen Autohändlers.
    »Um Gottes willen, Michael, kannst du das verdammte Ding nicht ein bißchen leiser drehen? Bist du etwa taub?«
    Michael drückte auf den entsprechenden Knopf der Fernbedienung, und die Lautstärke sank wenigstens soweit, daß man nicht mehr um sein Trommelfell zu fürchten brauchte. Von meiner Anwesenheit nahmen beide keine Notiz. Ich hatte den Eindruck, ich hätte mich zu ihnen aufs Bett flegeln und den Abend mit ihnen verbringen können, ohne daß es ihnen aufgefallen wäre. Juliet warf schließlich

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