Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
die Tür, die in einen Hinterhof führte. Ich kehrte wieder um und ging in der anderen Richtung. Da entdeckte ich endlich ein Schild in Gestalt eines Pfeils, der nach rechts wies: >Telefone. Toiletten.< Ah, ein Hinweis. Ich fand tatsächlich die richtige Tür, die durch das Abbild eines hochhackigen Damenpumps gekennzeichnet war. Ich erledigte eilig, was ich zu erledigen hatte, und kehrte zum Eingang zurück, als die Hosteß gerade wiederkam. Sie zeigte zum Speisesaal auf der linken Seite. »Der zweite Tisch rechts.«
Beinahe automatisch warf ich einen Blick durch die Seitenfenster und entdeckte Harris Brown, der aufgestanden war, um sein Sakko abzulegen. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück und versteckte mich hinter einer Topfpalme. Ich sah die Hosteß an und wies mit dem Daumen in Richtung des Mannes. » Das ist Harris Brown?«
»Er hat nach Kinsey Millhone gefragt«, antwortete sie.
Ich lugte hinter meiner Palme hervor. Nein, es war kein Irrtum. Zumal er der einzige Mann dort im Saal war. Harris Brown, Lieutenant der Polizei im Ruhestand, war der »Betrunkene«, dem ich vor weniger als einer Woche in Viento Negro auf seinem Hotelbalkon begegnet war. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Ich wußte, daß er damals an den Ermittlungen über die Betrugsaffäre mitgearbeitet hatte, aber das war Jahre her. Wie hatte er Wendell Jaffes Spur gefunden, und was hatte er in Mexiko zu tun gehabt? Und vor allem, würde er nicht mir genau die gleiche Frage stellen? Todsicher würde er sich an meine Nuttennummer erinnern, und wenn das an sich auch nichts war, dessen man sich schämen mußte, so hatte ich doch keine Ahnung, wie ich ihm erklären sollte, warum ich diese Nummer abgezogen hatte. Solange ich nicht wußte, was da gespielt wurde, hatte ich keinerlei Verlangen, mich mit dem Mann zu unterhalten.
Die Hosteß beobachtete mich interessiert. »Sie finden, daß er zu alt für Sie ist? Das hätte ich Ihnen gleich sagen können.«
»Sie kennen ihn?«
»Er ist früher, als er noch bei der Polizei war, ziemlich regelmäßig gekommen. Sonntags nach der Kirche war er immer mit seiner Frau und seinen Kindern hier.«
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Schätzchen, der Laden gehört mir. Mein Mann und ich haben ihn 1965 gekauft.«
Ich spürte, wie ich rot anlief.
In ihren Wangen zeigten sich Grübchen, und sie sah mich lächelnd an. »Ach, jetzt verstehe ich. Sie dachten, ich hätte den Job hier angenommen, weil ich’s dringend nötig hatte.«
Ich lachte, verlegen darüber, daß ich so leicht zu durchschauen war. »Ja, ich dachte, Sie wären wahrscheinlich heilfroh, Arbeit zu haben.«
»Oh, das bin ich auch. Und noch froher wäre ich, wenn das Geschäft ein bißchen zulegen würde. Na, wenigstens habe ich alte Freunde wie Mr. Brown, auch wenn ich ihn längst nicht mehr sooft sehe wie früher. Was läuft hier eigentlich? Will jemand Sie mit ihm verkuppeln und hat Sie blind zu dieser Verabredung geschickt?«
Ich war einen Moment verwirrt. »Sie haben doch eben gesagt, daß er verheiratet ist.«
»Das war er, bis sie gestorben ist. Ich dachte, jemand hätte das hier für Sie arrangiert, und jetzt gefällt er Ihnen nicht.«
»Nein, es ist ein bißchen verzwickter. Hm, könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?« fragte ich. »Ich gehe raus zu der Telefonzelle auf dem Parkplatz. Wenn ich anrufe und nach ihm frage, könnten Sie ihn dann ans Telefon holen?«
Sie warf mir einen argwöhnischen Blick zu. »Sie werden ihn doch nicht kränken?«
»Nein, bestimmt nicht. Sie können sich darauf verlassen. Um so was geht’s hier gar nicht.«
»Na schön, wenn’s keine Abfuhr ist. Da mache ich nämlich nicht mit.«
»Ehrenwort«, sagte ich.
Sie reichte mir eine Speisekarte für Abholer. »Die Telefonnummer steht oben«, sagte sie.
»Danke.«
Mit sorgsam abgewandtem Gesicht eilte ich aus dem Restaurant und lief zu der Telefonzelle an der Ecke des Parkplatzes. Ich lehnte die Speisekarte an den Apparat und kramte eine Vierteldollarmünze heraus, die ich in den Zahlschlitz steckte. Schon nach dem zweiten Läuten meldete sich die Wirtin.
»Hallo«, sagte ich. »Ich glaube, bei Ihnen sitzt ein Mann namens Harris Brown —«
»Ich hole ihn«, sagte sie kurz.
Wenig später meldete sich Brown, genauso verdrießlich und ungeduldig wie beim erstenmal, als wir miteinander gesprochen hatten. Für einen Inkassovertreter hätte er genau die richtige Art gehabt.
»Ja?«
»Hallo, Lieutenant Brown. Hier spricht Kinsey
Weitere Kostenlose Bücher