Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
ich.
»Absolut«, versicherte er.
Ich ging langsam rückwärts. Schließlich drehte ich mich um und machte mich aus dem Staub. Ich wollte nicht wieder in Jonahs Bann geraten. Ich habe dieses Knistern zwischen uns nie verstanden, und ich wußte bis heute nicht, was den Funken entzündet hatte. Vielleicht reichte schon körperliche Nähe, um ihn von neuem überspringen zu lassen. Der Mann tat mir nicht gut. Ich wollte ihn auf Abstand halten. Als ich zurückblickte, bemerkte ich, daß er mir intensiv nachsah.
Um Viertel nach zwei läutete bei mir im Büro das Telefon.
»Kinsey? Jonah hier.«
»Das ging aber schnell«, sagte ich.
»Weil es nicht viel zu berichten gibt. Es heißt, der Fall sei ihm entzogen worden, weil er persönlich betroffen war, und sich das auf seine Arbeit auswirkte. Er hatte seine gesamte Pension in CSL investiert und alles verloren. Seine Kinder scheinen fuchsteufelswild gewesen zu sein. Seine Frau hat ihn verlassen. Sie wurde dann krank und ist an Krebs gestorben. Seine Kinder sprechen heute noch nicht mit ihm. Eine ganz schlimme Geschichte.«
»Aber sehr interessant«, sagte ich. »Ist es möglich, daß er beauftragt worden ist, dem Fall nachzugehen?«
»Von wem?«
»Das weiß ich doch nicht. Vom Dienststellenleiter? Von der CIA? Vom FBI?«
»Nie im Leben. So was habe ich noch nie gehört. Der Mann ist seit über einem Jahr im Ruhestand. Unsere Mittel sind so knapp, daß wir kaum die Büroklammern bezahlen können. Woher bekommt er seine Gelder? Du kannst mir glauben, daß die Polizei von Santa Teresa kein Geld dafür rausschmeißt, einem Kerl hinterherzuhecheln, der vielleicht vor fünf oder sechs Jahren ein Verbrechen begangen hat. Wenn er aufkreuzen würde, müßten wir uns mit ihm unterhalten, aber keiner würde viel Zeit darauf verwenden. Wen interessiert schon Jaffe? Gegen ihn ist nie Haftbefehl erlassen worden.«
»Stimmt nicht. Jetzt läuft ein Haftbefehl gegen ihn«, widersprach ich scharf.
»Brown arbeitet da wahrscheinlich auf eigene Faust.«
»Und trotzdem muß man sich fragen, woher er seine Informationen hat.«
»Vielleicht von demselben Mann, der der California Fidelity den Tip gegeben hat. Vielleicht kennen die beiden sich.«
Das kam bei mir an. »Du meinst, Dick Mills? Ja, das ist wahr. Wenn er gewußt hat, daß Brown interessiert ist, hat er es vielleicht erwähnt. Mal sehen, ob ich von der Seite was in Erfahrung bringen kann. Das ist eine gute Idee.«
»Laß mich wissen, was dabei rauskommt. Ich möchte wissen, was vorgeht.«
Sobald er aufgelegt hatte, rief ich bei der California Fidelity an und fragte nach Mac Voorhies. Während ich darauf wartete, daß er einen anderen Anruf beendete, hatte ich Gelegenheit, über meinen schlimmen Hang zur Lüge nachzusinnen. Ich streute mir nicht gerade Asche aufs Haupt, aber ich mußte doch all die heiklen Folgen meines Tuns in Betracht ziehen. Beispielsweise mußte ich Mac eine Erklärung für mein Zusammentreffen mit Harris Brown in Viento Negro geben, wie aber konnte ich das tun, ohne meine Sünden zu gestehen? Mac kennt mich gut genug, um zu wissen, daß ich mich ab und zu über die Vorschriften hinwegsetzte, aber er möchte nicht gern mit konkreten Beispielen dafür konfrontiert werden. Wie die meisten von uns amüsiert er sich über die schillernden Seiten anderer, solange er nicht mit ihren Folgen fertig werden muß.
»Mac Voorhies«, meldete er sich.
Ich hatte mir noch keine gute Geschichte ausgedacht, und das hieß, daß ich auf die alte Methode zurückgreifen mußte, die halbe Wahrheit zu sagen. In dem Fall besteht die beste Strategie darin, starke Gefühle von Ehrlichkeit und Tugendhaftigkeit heraufzubeschwören, auch wenn man nichts in der Hand hat, um sie zu untermauern. Mir ist auch aufgefallen, daß die Leute besonders dann von der Aufrichtigkeit des anderen überzeugt sind, wenn der so tut, als vertraue er sich ihnen an.
»Hallo, Mac. Ich bin’s, Kinsey. In unserem Fall gibt’s eine interessante Entwicklung, die ich dir nicht vorenthalten möchte. Vor fünf Jahren, als Jaffe verschwand, wurde offenbar ein Beamter vom Betrugsdezernat hier in Santa Teresa mit der Sache betraut. Ein gewisser Harris Brown.«
»Der Name kommt mir bekannt vor, ja. Ich habe wahrscheinlich ein-, zweimal mit ihm zu tun gehabt«, bemerkte Mac. »Hast du Ärger mit dem Mann?«
»Nicht so, wie du vielleicht meinst«, erwiderte ich. »Ich habe ihn vor zwei Tagen angerufen, und da war er sehr hilfsbereit. Wir wollten uns eigentlich
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