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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hatte man Danielle in Decken gepackt und auf die Trage gelegt. Ich trat zur Seite, als die Sanitäter sie zur Tür heraustrugen. Ich nahm Blickkontakt mit dem älteren der beiden auf. »Darf ich mitfahren?«
    »Mir ist’s recht, falls der Detective nichts dagegen hat.«
    Cheney hatte unseren Wortwechsel mitbekommen und nickte zustimmend. »Wir sehen uns später«, sagte er zu mir.
    Dann wurde die Trage hinten in den Rettungswagen geschoben.
    Mein Auto ließ ich stehen, wo es war, nämlich in der Gasse hinter Danielles Häuschen. Ich saß hinten im Wagen neben ihrer in Decken gehüllten Silhouette und bemühte mich, dem jungen Sanitäter nicht in die Quere zu kommen, der ständig ihre Lebensfunktionen überprüfte. Ihre Augenlider waren blau angelaufen und geschwollen wie bei einem frisch geschlüpften Vogel. Von Zeit zu Zeit sah ich, wie sie sich bewegte, blind vor Schmerz und Verwirrung. Ich wiederholte andauernd: »Es wird schon. Bald ist alles wieder gut. Jetzt ist es vorüber.« Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie mich hörte und konnte nur hoffen, daß die beruhigenden Äußerungen zu ihr durchdrangen. Sie war kaum bei Bewußtsein. Die blinkenden gelben Lichter spiegelten sich im Glas der Schaufenster, als wir die State Street hinaufrasten. Die Sirene wirkte wie von den Ereignissen losgelöst. Zu dieser Nachtstunde waren die Straßen weitgehend leer, und so ging die Fahrt mit erstaunlicher Geschwindigkeit vonstatten. Erst als wir in der Notaufnahme anlangten, hörten wir von dem Unfall auf der 101.
    Ich saß eine Stunde lang draußen im Warteraum, während sie sich an ihr zu schaffen machten. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Unfallopfer versorgt, und der Raum leerte sich. Ich merkte, daß ich dasselbe Exemplar von Family Circle durchblätterte, das ich schon einmal gelesen hatte: dieselben perfekten Frauen mit denselben perfekten Zähnen. Die Juli-Ausgabe hatte ein paar Eselsohren. Einige Artikel waren herausgerissen worden, und jemand hatte Anmerkungen zu dem Aufsatz über die Wechseljahre des Mannes verfaßt und ordinäre Sprüche an den Rand geschrieben. Ich las Rezepte für Gartengrillfeste an hektischen Tagen und eine Kolumne, in der Leserinnen Vorschläge zur Lösung verschiedenster elterlicher Schwierigkeiten machten, zum Beispiel wenn die Kinder logen, stahlen oder nicht lesen lernten. Vermittelte mir ungemeines Zutrauen in die nachwachsende Generation.
    Cheney Phillips kam herein. Sein dunkles Haar war so lockig wie das eines Pudels, und ich bemerkte, daß er untadelig gekleidet war: Röhrenjeans, ein Sportsakko über einem makellosen weißen Hemd, dunkle Socken und Halbschuhe. Er trat an den Empfangstresen und zeigte seine Dienstmarke der Angestellten, die hektisch Aufnahmeformulare tippte. Dann telefonierte sie kurz. Ich sah ihm nach, als er ihr in den Behandlungsraum folgte, in den sie Danielle vor meinen Augen gebracht hatten. Kurz darauf kam er wieder heraus auf den Flur, diesmal im Gespräch mit einem der Notärzte. Ihnen folgten zwei Pfleger, die zwischen sich eine fahrbare Trage bugsierten. Danielles Kopf war mit Bandagen umwickelt. Cheneys Gesichtsausdruck war neutral, als sie davongefahren wurde. Der Arzt verschwand in der nächsten Zelle.
    Cheney sah auf und entdeckte mich. Er kam in den Warteraum herüber und setzte sich neben mich auf das blaue Tweedsofa. Dann griff er nach meiner Hand und flocht seine Finger durch meine.
    »Wie geht’s ihr?« fragte ich.
    »Sie bringen sie nach oben in die Chirurgie. Der Arzt macht sich Sorgen wegen der inneren Blutungen. Ich schätze, der Kerl hat sie zum Abschied noch bestialisch mit den Füßen traktiert. Sie hat einen gebrochenen Kiefer, gebrochene Rippen, einen Milzriß und Gott weiß was noch alles. Der Arzt sagt, sie ist schrecklich zugerichtet worden.«
    »Sie sah auch entsetzlich aus«, sagte ich. Ich spürte, wie mir mit Verspätung das Blut aus dem Gehirn wich. Kalter Schweiß und Übelkeit wallten in mir auf wie aus einer Quelle. Normalerweise bin ich nicht zimperlich, aber Danielle war eine Freundin, und ich hatte die Wunden gesehen. Als ich ihre Verletzungen aufgezählt bekam, wurde die Erinnerung an das Leid, das ich gesehen hatte, allzu lebendig. Ich steckte den Kopf zwischen die Knie, bis das Tosen abflaute. Das war nun das zweite Mal, daß ich fast ohnmächtig geworden wäre, und ich wußte, ich brauchte Hilfe.
    Cheney sah mir besorgt zu. »Sollen wir uns ein Cola oder eine Tasse Kaffee besorgen? Es dauert vermutlich eine

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