Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
wir irgendwo ein Sofa, auf dem du ein Nickerchen machen kannst.«
Serena empfahl das kleine Wartezimmer vor der Intensivstation, wo wir schließlich auch landeten. Cheney saß da und las eine Illustrierte, während ich mich auf einem Sofa zusammenrollte, das eine Idee kürzer war als ich. Das Geräusch des Papiers, wenn er umblätterte, und sein gelegentliches Räuspern hatten etwas Beruhigendes. Der Schlaf überkam mich wie ein schweres Gewicht, das mich auf das Sofa drückte. Als ich aufwachte, war der Raum leer, aber Cheney hatte mir sein Sakko über den Oberkörper gelegt, also konnte er nicht weit sein. Ich spürte das seidige Futter seines Jacketts, das nach teurem Rasierwasser duftete. Schließlich sah ich auf die Wanduhr: Es war drei Uhr fünfunddreißig. Ich blieb noch einen Moment liegen und fragte mich, ob es irgendwie möglich war, zu bleiben, wo ich war, warm und geborgen. Ich könnte mich daran gewöhnen, auf einem Wartezimmersofa zu leben, mir die Mahlzeiten bringen lassen, und für die Körperpflege gab es ja die Damentoilette hinten im Flur. Es wäre billiger, als Miete zu bezahlen, und wenn mir etwas zustieß, wäre ärztliche Hilfe gleich bei der Hand.
Auf dem Flur erklangen Schritte und das Gemurmel männlicher Stimmen. Cheney erschien in der Türöffnung und lehnte sich an den Rahmen. »Ah. Du bist ja wieder unter uns. Möchtest du Danielle sehen?«
Ich setzte mich auf. »Ist sie wach?«
»Nicht richtig. Sie haben sie gerade aus dem OP gebracht. Sie ist immer noch völlig benommen, aber man hat sie auf die Intensivstation verlegt. Ich habe der Oberschwester gesagt, du seist von der Sitte und müßtest eine Zeugin identifizieren.«
Ich preßte die Finger gegen die Augen und rieb mir das Gesicht. Dann fuhr ich mir mit den Händen durchs Haar und stellte fest, daß dank Danielles Haarschneidekünsten endlich einmal nicht jede Strähne einzeln nach oben abstand. Ich sammelte meine Kräfte, stieß kräftig den Atem aus und zwang mich zurück in den Wachzustand. Ich kam auf die Beine und strich ein paar Falten aus meinem Rollkragenpullover. Ein Vorteil an lässiger Kleidung ist, daß man immer ungefähr gleich aussieht. Vom Flur aus riefen wir per Haustelefon im Schwesternzimmer der Intensivstation an. Cheney erledigte die Formalitäten, und wir wurden eingelassen.
»Müßte ich nicht auch eine Dienstmarke haben?« murmelte ich ihm zu, als wir den Flur entlanggingen.
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe ihnen erzählt, daß du als Pennerin getarnt verdeckt ermittelst.« Ich versetzte ihm einen kleinen Schubs.
Wir warteten vor Danielles Zimmer und sahen durch das Glasfenster, während eine Schwester ihren Blutdruck maß und den Tropf an ihrer Infusion einstellte. Genau wie in der Herzstation waren auch hier die Räume U-förmig um die Überwachungszentrale angeordnet, so daß man die Patienten im Blickfeld hatte. Cheney hatte mit dem Arzt gesprochen, der ihm das Nötigste über ihren momentanen Zustand erklärte. »Er hat ihr die Milz herausgenommen. Das meiste hat allerdings der orthopädische Chirurg gemacht. Er hat ihr den Kiefer und das Schlüsselbein eingerenkt und die Rippen fixiert. Sie hatte zwei gebrochene Finger und zahlreiche Prellungen. Sie müßte wieder gesund werden, aber es wird eine Weile dauern. Die Wunde am Kopf war noch das Mindeste. Eine leichte Gehirnerschütterung und jede Menge Blut. Das habe ich selbst schon erlebt. Wenn man sich den Kopf am Medizin Schränkchen anstößt, sieht es aus, als würde man verbluten.«
Die Schwester strich Danielles Bettdecke glatt und verließ den Raum. »Zwei Minuten«, sagte sie und zeigte mit erhobenen Fingern ein V.
Schweigend standen wir nebeneinander und sahen auf sie herab wie Eltern, die den Anblick eines neugeborenen Babys studieren. Schwer zu glauben, daß sie zu uns gehörte. Sie war kaum zu erkennen: schwarze Augen, aufgedunsener Kiefer, verbundene und mit Pflastern verklebte Nase. Eine geschiente Hand lag auf der Decke. Die hellroten Acrylnägel hatten sich gelöst oder waren abgebrochen, und ihre armen, geschwollenen Finger sahen an den Spitzen blutig aus. Was sonst noch von ihr übrig war, war kaum mehr als ein kindergroßes Häufchen. Sie schwankte zwischen Wachen und Bewußtlosigkeit, wurde aber nie klar genug, um uns wahrzunehmen. Durch die ganzen Gerätschaften wirkte sie wie geschrumpft, aber das ganze Personal und die Apparate hatten etwas Beruhigendes. In ihrem mitgenommenen Zustand war das hier genau der richtige Ort
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