Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Ihnen gegenüber jemals Stubby Stockton erwähnt?« Ich war mir nicht einmal sicher, daß sie mich hörte. Im Raum herrschte Stille. Dann schien sie sich zu sammeln.
»Kunde«, sagte sie.
»Er war ein Kunde?« sagte ich verblüfft. Dann dachte ich einen Moment darüber nach und versuchte, die Information zu verarbeiten. »Das erstaunt mich irgendwie. Er schien mir nicht ihr Typ zu sein. Wann war das?«
»Lange her. Ich glaube, sie hat ihn nur einmal getroffen. Der andere Typ ist derjenige.«
»Welcher andere?«
»Der Alte.«
»Derjenige, der was?«
»Derjenige, den Lorna gebumst hat.«
»Oh, das glaube ich nicht. Sie müssen ihn mit jemandem verwechseln. Clark Esselmann ist Serena Bonneys Vater. Er ist der alte Herr, den sie betreut...«
Sie bewegte ihre unversehrte Hand und zog an der Bettdecke.
»Brauchen Sie etwas?«
»Wasser.«
Ich sah hinüber zu dem fahrbaren Nachttisch. Darauf stand ein Styroporkrug mit Wasser, ein Plastikbecher und ein Plastikstrohhalm mit einem Ziehharmonikateil, das in der Mitte ein Gelenk bildete. »Dürfen Sie das trinken? Ich möchte nicht, daß Sie schummeln, bloß weil ich es nicht besser weiß.«
Sie lächelte. »Würde hier nicht... schummeln.«
Ich füllte den Plastikbecher und bog den Strohhalm um. Dann hielt ich den Becher neben ihren Kopf und drehte den Halm so, daß er ihre Lippen berührte. Sie nahm drei kleine Schlucke und schmatzte ganz leicht. »Danke.«
»Sie haben jemanden erwähnt, mit dem Lorna zu tun hatte.«
»Esselmann.«
»Sind Sie sicher, daß wir vom selben Mann reden?«
»Der Schwiegervater von ihrem Chef, oder?«
»Hm, ja, aber warum haben Sie mir das nicht schon vorher gesagt? Es könnte wichtig sein.«
»Ich dachte, ich hätte. Was macht das schon für einen Unterschied?«
»Klären Sie mich auf, und wir werden sehen, was es für einen Unterschied macht.«
»Er war pervers.« Sie krümmte sich und versuchte, sich etwas anders hinzulegen. Krampfartige Schmerzen zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab.
»Alles in Ordnung? Sie müssen jetzt nicht darüber sprechen.«
»Alles okay. Die Rippen sind im Eimer, das ist alles. Moment noch.«
Ich wartete und dachte über »pervers« nach. Ich stellte mir Esselmann vor, wie er sich den Hintern auspeitschen ließ und dabei in Strapsen herumhüpfte.
Ich konnte sehen, daß Danielle sich alle Mühe gab, sich zusammenzureißen. »Sie ist nach seinem Herzinfarkt hingegangen, aber er hat sie angemacht. Sie hat gesagt, sie war völlig perplex. Nicht daß er sie irgendwie gekümmert hätte. Kohle ist Kohle, und er hat ihr ein Vermögen bezahlt, aber sie hatte nicht damit gerechnet, nachdem er so... korrekt wirkte.«
»Das kann ich mir denken. Und seine Tochter hat nie davon erfahren?«
»Niemand wußte es. Später dann hat sich Lorna verplappert. Sie sagte, es hätte sich herumgesprochen, und damit hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen. Ihr war ganz unwohl dabei. Die Tochter wollte sie wieder anstellen, aber der Alte ließ es nicht zu.«
»Was meinen Sie damit, es hat sich herumgesprochen? Wem hat sie denn davon erzählt?«
»Weiß nicht. Danach hielt sie dicht. Hat gesagt, diese Lektion braucht man nur einmal zu lernen.«
Hinter mir sagte jemand: »Verzeihung.«
Danielles Pflegeschwester war zurückgekommen. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber könnten Sie dann zum Schluß kommen? j Die Ärzte wollen nicht, daß sie länger als fünf Minuten Besuch hat.«
»Ja, sicher. Schon in Ordnung.« Ich sah wieder zu Danielle. »Wir können ein andermal darüber sprechen. Ruhen Sie sich jetzt aus.«
»Ja.« Danielles Augen schlossen sich wieder. Ich blieb noch eine Minute bei ihr, mehr meinet- als ihretwegen, und schlich mich dann leise aus dem Zimmer. Die Hilfskraft in der Zentrale sah mir beim Hinausgehen nach.
Mit Unbehagen ertappte ich mich dabei, wie ich mir ein Bild von Lorna Kepler mit Clark Esselmann ausmalte. Noch dazu pervers. Was für eine Vorstellung. Es war weniger sein Alter als vielmehr seine förmliche Ausstrahlung. Mir war es unmöglich, seine Respek-tabilität mit seiner (angeblichen) sexuellen Neigung zu vereinbaren. Er war vermutlich mehr als fünfzig Jahre mit Serenas Mutter verheiratet gewesen. Und all das mußte sich noch zu Mrs. Esselmanns Lebzeiten abgespielt haben.
Ich machte einen Umweg von sechs Häuserblocks zu Short’s Drugs, wo ich vier Bilderrahmen im Format 18x27 kaufte, um die zerbrochenen Rahmen zu ersetzen, die ich bei Danielle mitgenommen hatte, Lorna und Clark
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