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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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vermutlich Fachkräfte für Datenverarbeitung, die die tagsüber angefallenen Haftbefehle in die EDV eingaben. Im Moment war die kleine Empfangstheke nicht besetzt, aber es gelang mir, mich vorzubeugen und nach rechts um die Ecke zu spähen.
    Ein uniformierter Beamter entdeckte mich, unterbrach sein Gespräch mit einem Zivilangestellten und ging auf mich zu. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich habe gerade drüben im St. Terry’s mit Lieutenant Dolan gesprochen. Er und Detective Phillips haben mir erlaubt, ein paar Akten einzusehen. Es müßte ein Satz Fotos vorliegen, den ich mitnehmen kann, hat er gesagt.«
    »Es geht um den Fall Kepler, stimmt’s? Der Lieutenant hat gerade angerufen. Ich habe alles hier hinten. Möchten Sie mitkommen?«
    »Ja, danke.«
    Der Polizist drückte auf einen Knopf, woraufhin sich die Tür öffnete. Im rückwärtigen Flur wandte ich mich nach rechts. Der Polizist tauchte wieder in der Abteilungstür auf. »Wir haben einen Schreibtisch hier hinten, wenn Sie sich setzen möchten.«
    Ich las mir die Akte aufmerksam durch und machte mir dabei immer wieder Notizen. Janice Kepler hatte mir bereits einiges Material gegeben, aber hier fanden sich noch zahlreiche Kommentare und Anmerkungen für den internen Dienstgebrauch, über die sie nicht verfügte. Ich stieß auf die Zeugenbefragungen von Hector Moreno, J. D. Burke und Serena Bonney, deren Privatadresse und Telefonnummer ich mir aufschrieb. Es folgten zusätzliche Befragungen von Lornas Familie, ihrem ehemaligen Chef, Roger Bonney, und eben jener Danielle Rivers, der ich heute abend auf der unteren State Street zu begegnen hoffte. Erneut notierte ich mir Privatadressen und Telefonnummern. Das waren zwar Daten, die ich mir ohne weiteres selbst beschaffen konnte, aber warum sollte ich die Gelegenheit nicht nutzen? Lieutenant Dolan hatte veranlaßt, daß ich alles fotokopieren durfte, was ich brauchte. Ich kopierte zahllose Seiten. Vermutlich würde ich im großen und ganzen dieselben Personen befragen, und der Vergleich zwischen ihren heutigen Meinungen und Beobachtungen und jenen von damals versprach interessant zu werden. Schließlich wandte ich meine Aufmerksamkeit den Fotos vom Tatort zu.
    In mancher Hinsicht läßt sich schwer sagen, was schmutziger ist — sexuelle Pornographie oder die Pornographie des Mordes. Beide erzählen von Gewalt, von den Entwurzelten und Erniedrigten und von den Demütigungen, die wir uns im Feuer der Leidenschaft gegenseitig zufügen. Manche Formen der Sexualität sind so kaltblütig wie Mord, und manche Formen von Mord für den Täter so erregend wie eine sexuelle Begegnung.
    Die Verwesung hatte Lorna Keplers Körper sämtliche Konturen genommen. Die Enzyme ihrer eigenen Zellen hatten diese Zersetzung herbeigeführt. Ihr Körper war einer Invasion zum Opfer gefallen: Mutter Naturs kleine Putzkolonne hatte sich eifrig ans Werk gemacht — Maden, so leicht wie frisch gefallener Schnee und so weiß wie Zwirn. Es dauerte einige Minuten, bevor ich die Fotos ohne Ekel ansehen konnte. Schließlich fand ich die nötige Distanz. Das hier war schlicht und einfach die Wirklichkeit des Todes.
    Was mich interessierte, war, wie die Hütte in möbliertem Zustand ausgesehen hatte. Ich kannte sie nur leer: rußig und verlassen, voll Spinnen und Moder und muffigem Geruch. Hier konnte ich sowohl in Farbe wie auch in Schwarzweiß Stoffe sehen, vollgestellte Arbeitsflächen, zerdrückte Sofakissen, eine Vase mit herabhängenden Blumen, die zwei Finger breit in dunkel gewordenem Wasser standen, Flickenteppiche und spindeldürre, hölzerne Stuhlbeine. Ich sah einen Stapel Post, den sie auf einem Sofakissen hatte liegenlassen. Die ungewohnten Einblicke in ihren Lebensraum hatten etwas Abstoßendes. Wie bei einem Gast, der zu früh eintrifft und die Wohnung sieht, bevor die Gastgeberin zum Aufräumen gekommen ist.
    Abgesehen von einigen Fotos, die zur Orientierung des Betrachters gedacht waren, stand Lornas Leiche im Mittelpunkt der meisten Abzüge im Format 18 X 27. Sie lag auf dem Bauch. Ihre Stellung war die einer Schlafenden, und ihre Glieder waren in den klassischen Kreideumrissen angeordnet, die in jedem Fernsehkrimi die Lage bezeichnen. Kein Blut, kein Erbrochenes. Es war schwer, sich vorzustellen, was sie wohl in dem Moment tun wollte, als sie fiel — die Haustür öffnen oder ans Telefon gehen. Sie trug BH und Höschen, und ihr Jogginganzug lag als Häufchen neben ihr auf dem Boden. Ihr langes, dunkles Haar hatte seinen Glanz

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