Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
noch ein paar tapfere Grillen im vertrockneten Gras zirpen und den einen oder anderen Nachtvogel krächzen hören. Abgesehen davon herrschte tiefste Stille. Es schien wärmer zu sein als letzte Nacht, und aus der Abendzeitung wußte ich, daß die Wolkendecke dichter wurde. Der Wind wehte aus Norden und blies durch die trockenen Palmwedel vor mir. Ich marschierte den halben Häuserblock zu meinem Apartment zu Fuß und ging kurz hinein, um zu sehen, ob Nachrichten eingegangen waren.
Auf dem Anrufbeantworter war nichts. Ich verließ die Wohnung wieder, bevor ich der Versuchung unterlag, Cheney anzurufen und das große Abenteuer von heute abend abzusagen. Das Quietschen des Tors klang melancholisch, so als ob das kalte Metall gegen mein Verschwinden protestierte. Ich stieg ins Auto, drehte den Zündschlüssel und schob den Hebel für die Heizung ganz nach oben, sowie der Motor ansprang. Es war völlig ausgeschlossen, daß das System so schnell heiße Luft abgeben konnte, aber ich brauchte die Illusion von Wärme und Gemütlichkeit.
Ich fuhr einen halben Kilometer auf der 101 stadtauswärts und bog an der Ausfahrt Puerta Street ab. Von hier aus waren es nur zwei Blocks zum St. Terry’s Hospital. In einer Seitenstraße fand ich einen Parkplatz, sperrte das Auto ab und ging den restlichen halben Block zum Haupteingang zu Fuß. Im Prinzip fing die Besuchszeit erst um acht Uhr an, aber ich hoffte, daß die Oberschwester auf der Herzstation ein Auge zudrücken würde.
Die Glastüren öffneten sich beim Näherkommen von selbst. Ich ging am Krankenhauscafe links von der Eingangshalle vorbei, wo Sofas zu verschiedenen Gruppierungen zusammengestellt waren. Mehrere nicht ans Bett gefesselte Patienten waren in Bademantel und Pantoffeln heruntergekommen, um sich hier mit Freunden und Verwandten zu treffen. Der Raum wirkte mitsamt der Musik aus Lautsprechern und den Bildern von hiesigen Künstlern fast wie ein großes, gemütlich möbliertes Wohnzimmer. Der Geruch in der Halle war ganz und gar nicht unangenehm, erinnerte mich aber trotzdem an schwere Zeiten. Meine Tante Gin war in einer Februarnacht vor über zehn Jahren hier gestorben. Ich verdrängte diesen Gedanken und sämtliche Erinnerungen, die er mit heraufbeschwor.
Der Geschenkeladen hatte geöffnet, und ich machte einen kleinen Abstecher hinein. Ich wollte Lieutenant Dolan etwas kaufen, obwohl mir nicht klar war, was. Weder die Teddybären noch die Négligés schienen das Passende zu sein. Schließlich entschied ich mich für einen überdimensionalen Schokoriegel und die neueste Ausgabe von People. Es ist immer einfacher, ein Krankenzimmer mit etwas in der Hand zu betreten — irgend etwas, was das Eindringen in die Intimität einer Krankheit abmildert. Normalerweise käme ich nicht im Traum auf die Idee, mit einem Mann im Schlafanzug etwas zu besprechen.
Ich ging zur Information, um seine Zimmernummer zu erfahren und mir den Weg zur Herzstation erklären zu lassen, und marschierte anschließend endlose Korridore entlang, bis ich zu den Aufzügen im Westflügel kam. Ich drückte den Knopf für den zweiten Stock und gelangte in ein helles, lichtes Foyer mit einem glänzenden, schneeweißen Fußboden. Dann ging ich links um die Ecke in einen kurzen Durchgang. Direkt zur Rechten lag der Warteraum für die Herzstation. Ich spähte durch das Glasfenster in der Tür. Der Raum war menschenleer und spärlich möbliert: ein runder Tisch, drei Stühle, zwei kleine Sofas, ein Fernseher, ein Münztelefon und mehrere Zeitschriften. Ich ging zu der Tür, die in die Herzstation führte. An der Wand hing ein Telefon mit einem Schild daneben, das mich aufforderte, anzurufen und um Einlaß zu bitten. Eine Krankenschwester oder Verwaltungsangestellte nahm das Gespräch entgegen, und ich sagte ihr, daß ich Lieutenant Dolan besuchen wolle.
»Warten Sie einen Moment, ich sehe nach.«
Nach einer kurzen Pause bat sie mich herein. Das Seltsame an Krankenhäusern ist, daß vieles genauso aussieht, wie man es erwartet. Wir kennen es alle aus dem Fernsehen: die Geschäftigkeit im Schwesternzimmer, die Diagramme und die Geräte, mit denen die Leidenden überwacht werden. Hier in der Herzstation trugen die Schwestern normale Straßenkleidung, wodurch die Atmosphäre entspannter und weniger klinisch wirkte. Sie waren zu fünft oder sechst, alle jung und recht freundlich. Das Pflegepersonal konnte sämtliche Lebenszeichen von einer zentralen Überwachungsstelle aus im Blick behalten. Ich stand
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