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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Tag ging in den Abend und schließlich in pechschwarze Nacht über. Manchmal wurden Sternbilder projiziert, dann wieder signalisierten grell leuchtende Blitze das Nahen eines Sturms auf hoher See. Die Wände waren in einer Vielzahl von Blautönen gestrichen, deren Schattierungen vom ruhigen Blau einer sommerlichen Dünung bis hin zum Mitternachtsblau der Tiefsee reichten. Sägespäne auf dem Betonfußboden schufen die Illusion von sandigem Meeresgrund. Die Tanzfläche selbst wurde von etwas begrenzt, das wie der Bug eines gesunkenen Schiffs aussah. Der Eindruck, daß man sich unter der Meeresoberfläche befand, war so stark, daß ich für jeden Atemzug dankbar war.
    In Nischen, die wie Korallenriffe gestaltet waren, hatte man Tische gestellt. Die Beleuchtung war gedämpft und kam zum größten Teil aus mächtigen Salzwasser-Aquarien, in denen große Barsche mit schmollenden Mündern auf der Suche nach Beute unermüdlich ihre Kreise zogen. Reproduktionen von antiken Seekarten zierten in Acryl gegossen die Tischplatten. Sie zeigten eine Welt weiter, menschenleerer Ozeane, an deren Rändern heimtückische Kreaturen lauerten. Den Gästen gar nicht so unähnlich.
    In den Pausen zwischen zwei Musikstücken nahm ich wahr, daß leise Klangeffekte aus den Lautsprechern drangen: Schiffsglocken, das Knarren von Holz, flatternde Segel, das Kreischen von Möwen und die blechernen Signale von Bojen. Am unheimlichsten waren allerdings die kaum hörbaren Jammerlaute ertrinkender Seeleute, als wären wir allesamt in einer Art maritimem Fegefeuer gefangen, in dem Alkohol, Zigaretten, Gelächter und ohrenbetäubende Musik dazu dienten, diese leisen Schreie zu übertönen und verstummen zu lassen. Sämtliche Kellnerinnen waren in hautenge, paillettenbesetzte Bodystockings gehüllt, die wie Fischhäute schillerten. Ich nahm an, daß die meisten von ihnen wohl aufgrund ihres androgynen Aussehens eingestellt worden waren: kurzgeschorenes Haar, schmale Hüften und keine nennenswerten Brüste. Sogar die Jungen waren geschminkt.
    Cheney hielt sich dicht hinter mir und hatte mir beruhigend die Hand auf den Rücken gelegt. Einmal beugte er sich vor und sagte etwas, aber der Lärm schluckte seine Stimme. Zwischendurch verschwand er kurz und kam mit einer Flasche Bier in jeder Hand zurück. Wir fanden einen freien Platz an der Wand, von dem aus wir den Laden relativ ungehindert überblicken konnten. Wir lehnten uns an und ließen uns von den anderen begaffen. Die Musik war dermaßen laut, daß hinterher ein Hörtest fällig war. Ich sah förmlich vor mir, wie meine Gehörknöchelchen zusammenzuckten. Ich habe einmal aus den Tiefen eines Müllcontainers eine Pistole abgefeuert und bin seither von einem periodisch auftretenden Zischen im Kopf geplagt. Diese Kids würden im Alter von fünfundzwanzig Hörrohre benötigen.
    Cheney berührte mich am Arm und deutete auf die andere Seite des Raumes. Mit dem Mund formte er das Wort »Danielle«, und ich folgte seinem Blick. Sie stand in der Nähe der Tür, offenbar allein, obwohl ich annahm, daß sie das nicht mehr lange bleiben würde. Sie war vermutlich noch nicht zwanzig und daran gewohnt, über ihr Alter falsche Angaben zu machen, denn wie hätte sie sonst hier hereinkommen sollen. Sie hatte dunkles Haar, das so lang war, daß sie darauf sitzen konnte, und lange Beine, die gar nicht aufzuhören schienen. Sogar über die Entfernung hinweg sah ich schmale Hüften, einen flachen Bauch und jugendliche Brüste, ein Körpertyp, den Männer jenseits der Wechseljahre glühend bewundern. Sie trug limonengrüne Hot pants aus Satin und ein schulterfreies Top mit einer limonengrünen Bomberjacke darüber.
    Wir durchquerten den Raum. Während wir uns näherten, bemerkte sie Cheney. Er zeigte auf den Hof. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging vor uns hinaus. Der Temperaturunterschied zu drinnen war drastisch, und das plötzliche Fehlen von Zigarettenrauch ließ die Luft nach frischem Heu duften. Die Kälte ergoß sich wie eine Flüssigkeit über meine Haut. Danielle hatte sich mit den Händen in den Jackentaschen zu uns umgedreht. Aus der Nähe erkannte ich, wie gekonnt sie verschiedene Kosmetika im Kampf gegen ihr jugendliches Aussehen eingesetzt hatte. Sie hätte für zwölf durchgehen können. Ihre Augen besaßen das leuchtende Grün bestimmter Tropenfische, und ihr Gesichtsausdruck war herausfordernd.
    »Wir haben um die Ecke einen Wagen stehen«, sagte Cheney unvermittelt.
    »Und?«
    »Und dort können

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