Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
sich’s gemütlich«, sagte sie.
»Haben Sie eine Ahnung, wann er nach Hause kommt?«
»Jeden Moment, schätze ich. Er geht nicht gern lange aus.« Sie schaltete in der Küche Licht an, was man durch eine zweiteilige Klappe über der Arbeitsfläche sehen konnte. Sie stieß die Läden auf. Durch die Öffnung konnte ich ihr dabei Zusehen, wie sie zwei Schalen mit Eiswürfeln aus dem Kühlschrank nahm und sie in einen Eiskübel aus Acryl leerte. »Ich mache mir einen Drink. Wenn Sie auch einen möchten, müssen Sie es sagen. Ich hasse es, die Gastgeberin zu spielen, aber eine Runde gebe ich aus. Ich habe noch eine offene Flasche Chardonnay, falls Sie daran interessiert sind. Sie sehen aus wie eine Weißweinliebhaberin.«
»Ein Glas Weißwein wäre wunderbar. Brauchen Sie Hilfe?«
»Brauchen wir die nicht alle?« bemerkte sie. »Haben Sie ein Büro in der Stadt?«
»Ich komme aus Santa Teresa.«
Sie legte den Kopf schief und sah mich durch die Durchreiche an. »Warum sind Sie den ganzen Weg hierher gefahren? Um Russell zu sprechen? Er wird doch hoffentlich nicht verdächtigt, oder?«
»Sind Sie seine Freundin?« Ich hielt es für höchste Zeit, daß ich die Fragen stellte und nicht sie.
»Das würde ich nicht sagen. Wir mögen uns, aber wir sind nicht direkt ein >Pärchen<. Er sieht sich gern als völlig ungebunden. Einer von diesen Typen.«
Sie ließ mehrere Eiswürfel in ein hohes Glas fallen und füllte es zur Hälfte mit Scotch. Dann spritzte sie Sodawasser darüber, und zwar mit einem dieser Dinger, die ich in alten Filmen aus den dreißiger Jahren gesehen hatte. Sie nahm einen Schluck, schüttelte sich leicht und stellte das Glas beiseite, während sie ein Weinglas aus dem Geschirrschrank holte. Sie hielt es gegen das Licht und entschied, daß es nicht sauber genug war. Dann spülte sie es aus und trocknete es ab. Sie holte den Chardonnay aus dem Kühlschrank und füllte mein Glas, stellte die Flasche in einen Weinkühler und ließ sie auf der Arbeitsfläche stehen. Ich ging zur Durchreiche hinüber und nahm das Weinglas, das sie mir entgegenhielt.
»Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind, aber Russell ist ganz schön fertig«, sagte sie.
»Tatsächlich. Ich bin ihm nie begegnet.«
»Sie können es mir glauben. Wollen Sie wissen, warum? Weil er einen Apparat hat wie ein Maulesel.«
Ich sagte: »Ah.« Nachdem ich ihn in Aktion gesehen hatte, konnte ich das bestätigen.
Cherie lächelte. »Das >ah< gefällt mir. Es ist diplomatisch. Kommen Sie doch mit in mein Zimmer, da können wir uns unterhalten, während ich mich umziehe. Wenn ich nicht bald aus diesem Hüfthalter herauskomme, bringe ich mich noch um.«
11
Cheries Schlafzimmermobiliar bestand aus einer Fünfziger-Jahre-Garnitur aus hellem Holz mit geschwungenen Linien. Sie setzte sich vor eine Frisierkommode mit einem großen, runden Spiegel in der Mitte und zwei tiefen Schubladen auf jeder Seite. Dann schaltete sie eine Lampe auf der Frisierkommode an, womit sie den Rest des Zimmers in Schatten tauchte. Sie besaß ein Doppelbett mit einem Kopfteil aus hellem Holz, einen hellen Nachttisch, einen alten Plattenspieler für 45 er mit einer massigen, schwarzen Kurbel und einen schwarzen Schmetterlingssessel aus Schmiedeeisen und Segeltuch, auf dem sich abgelegte Kleidungsstücke türmten. Die einzige Sitzgelegenheit für mich wäre das Doppelbett gewesen. Ich beschloß, mich statt dessen an den Türrahmen zu lehnen.
Cherie wand sich aus Hüfthalter und Strumpfhose und warf beides auf den Fußboden. Dann drehte sie sich zum Spiegel und musterte sich eingehend. Sie beugte sich vor und bedachte die Fältchen um ihre Augen mit einem kritischen Blick. Angewidert schüttelte sie den Kopf. »Ist Altern nicht das letzte? Manchmal glaube ich, ich sollte mich einfach erschießen und es hinter mich bringen.«
Vor meinen Augen breitete sie ein sauberes, weißes Handtuch aus und holte Fettcreme, Gesichtswasser, Wattebällchen und Q-Tips hervor, offensichtlich als Vorbereitung darauf, ihr Make-up zu entfernen. Ich habe schon Zahnarzthelferinnen gesehen, die beim Zusammenstellen der Instrumente weniger penibel ans Werk gingen.
»Haben Sie Lorna gekannt?« fragte ich.
»Ich bin ihr mal begegnet. >Gekannt< habe ich sie nicht.«
»Wie fanden Sie sie?«
»Ich war natürlich neidisch. Sie war das, was man eine natürliche Schönheit nennt. Alles so mühelos. Das reicht, um einen krank zu machen.« Ihr Blick begegnete im Spiegel dem meinen. »Sie
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