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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Millhone«, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. »Danke, daß Sie mich heute abend empfangen.«
    »Joseph Ayers«, sagte er. Er war vermutlich Ende Vierzig und besaß den angespannten Gesichtsausdruck eines Gynäkologen, der heikle Neuigkeiten mitzuteilen hat. Er trug eine Brille mit starken Gläsern und einem schweren Schildpattgestell und neigte dazu, den Kopf gesenkt zu halten, während seine dunklen Augen hin und wieder finster dreinblickten. Sein Händedruck war fest, und sein Fleisch fühlte sich so glitschig an, als hätte er gerade Gummihandschuhe übergestülpt. Seine Stirn war von Falten durchzogen, und er hatte ein langes Gesicht, das durch die Kerben neben dem Mund und in den Wangen noch länger wirkte. Oben begann sein dunkles Haar langsam schütter zu werden, aber ich konnte sehen, daß er früher einmal ausgesprochen gutaussehend gewesen war. Auch er trug den vorgeschriebenen Smoking. Falls er von den langen Stunden in der Luft immer noch erschöpft war, so ließ er es sich nicht anmerken. Mit Gesten bedeutete er mir, mich in einen der ledernen Lehnstühle zu setzen, und so nahm ich Platz. Er ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder, legte einen Finger an die Lippen und klopfte nachdenklich dagegen, während er mich musterte. »Vor der Kamera könnten Sie sogar gut herauskommen. Sie haben ein interessantes Gesicht.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, Mr. Ayers, aber ich habe einen Ihrer Filme gesehen. Gesichter spielen da wohl die geringste Rolle.«
    Er lächelte leicht. »Sie würden staunen. Es gab einmal eine Zeit, da wollte das Publikum dralle, üppige Frauen — à la Marilyn Monroe — mit schon fast grotesker Oberweite. Heute suchen wir nach etwas Realistischerem. Nicht, daß ich Sie zu irgend etwas überreden wollte.«
    »Dann ist es ja gut«, sagte ich.
    »Ich war auf der Filmhochschule«, sagte er, als hätte ich eine Erklärung verlangt. »Wie Oliver Stone und George Lucas und diese Leute. Nicht, daß ich mich mit ihnen auf eine Stufe stellen wollte. Im Grunde meines Herzens bin ich Akademiker. Darauf wollte ich hinaus.«
    »Wissen Ihre Gäste, was Sie machen?«
    Er nickte mit dem Kopf in Richtung Fenster. »Ich habe stets zugegeben, daß ich in der Branche tätig bin, was auch stimmt — oder zumindest gestimmt hat. Vor einem Jahr habe ich meine Firma an einen internationalen Konzern verkauft. Deshalb hatte ich auch in den vergangenen Wochen in Europa zu tun — noch Kleinigkeiten unter Dach und Fach bringen.«
    »Sie müssen ziemlich erfolgreich gewesen sein.«
    »Erfolgreicher als der durchschnittliche Hollywood-Produzent. Meine laufenden Kosten waren niedrig, und ich mußte mich nie mit Gewerkschaftsbossen oder Studioleitern herumärgern. Wenn ich ein Projekt durchziehen wollte, habe ich es getan, einfach so.« Zur Untermalung schnippte er mit den Fingern. »Jeder Film, den ich gemacht habe, wurde auf der Stelle zum Knüller, und das ist mehr, als die meisten Hollywood-Produzenten von sich behaupten können.«
    »Wie war das mit Lorna? Wie haben Sie sie kennengelernt?«
    »Ich war über das Memorial-Day-Wochenende unten in Santa Teresa — vor zwei Jahren muß das gewesen sein. Ich entdeckte sie in einer Hotelbar und fragte sie, ob sie an einer Karriere als Schauspielerin interessiert sei. Sie hat mich ausgelacht. Dann habe ich ihr meine Karte und zwei von meinen Videokassetten gegeben. Ein paar Monate später hat sie angerufen und Interesse geäußert. Ich habe die Dreharbeiten arrangiert. Sie kam nach San Francisco heraufgeflogen, hat zweieinhalb Tage gearbeitet und dafür zweitausendfünfhundert Dollar kassiert. Das war in etwa alles.«
    »Ich begreife immer noch nicht, warum der Film nie in Umlauf kam.«
    »Sagen wir mal, ich war mit dem Endprodukt nicht ganz zufrieden. Der Streifen wirkte billig, und die Kameraarbeit war lausig. Die Firma, die mich ausbezahlt hat, hat meine gesamten Bestände übernommen, aber dieser Film gehörte nicht dazu.«
    »Wußten Sie, daß Lorna nebenbei als Prostituierte gearbeitet hat?«
    »Nein, aber das überrascht mich nicht. Wissen Sie, wie man solche Frauen nennt? Sex-Arbeiterinnen. Eine Sex-Arbeiterin kann alles mögliche machen: Massage, Striptease, Hausbesuche, Lesbenvideos, Hardcore-Magazine. Sie sind wie umherziehende Wanderarbeiter. Sie gehen dorthin, wo es Arbeit gibt, manchmal von Stadt zu Stadt. Nicht, daß ich behaupten wollte, daß sie das alles getan hat. Ich setze Sie nur über die Situation im allgemeinen ins Bild.«
    Ich

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