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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Reeboks aus, stopfte mir sämtliche Kissen in den Rücken und ging Lornas Akte noch einmal durch, wobei ich mir sowohl die Zeichnungen vom Tatort als auch die beiliegenden Fotos genauer ansah.
    Der Fotograf hatte die Außenseite des Hauses und den Garten davor und dahinter abgelichtet, und zwar in nördlicher, südlicher, östlicher und westlicher Richtung. Es gab Aufnahmen von der vorderen und der hinteren Veranda, den hölzernen Geländern und den Fenstern. Die Vordertür war geschlossen, aber nicht abgesperrt gewesen und wies keine Zeichen gewaltsamen Eindringens auf. In der Hütte selbst waren weder eine Waffe noch Anzeichen irgendeines Kampfes zu sehen. An den Stellen, wo die Experten für Fingerabdrücke mit ihren verschiedenen Pulvern am Werk gewesen waren, konnte ich farbige Flecken erkennen. Dem Bericht zufolge hatte man fraglichen Personen Abdrücke von Fingern und Handflächen abgenommen, und die meisten Abdrücke in der Hütte konnten eindeutig zugeordnet werden. Die meisten stammten von Lorna selbst. Manche stammten von Familienmitgliedern, dem Vermieter, ihrer Freundin Danielle und mehreren Bekannten, die von Kriminalbeamten verhört worden waren. Viele Oberflächen waren außerdem abgewischt worden.
    Die Aufnahmen von Lorna fingen mit einer Totalen an und dokumentierten ihre Lage gegenüber der Eingangstür. Dann gab es Fotos aus mittlerer Entfernung und Nahaufnahmen mit einem Lineal im Bild, um den Maßstab anzugeben. Die Dokumentation zeichnete den gesamten Tatort lückenlos nach. Die flachen, zweidimensionalen Bilder frustrierten mich. Ich wäre am liebsten in die Fotos gekrochen, hätte sämtliche Objekte auf den Tischen untersucht, Schubladen aufgezogen und ihren Inhalt durchwühlt. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Augen zusammenzog, mir die Bilder näher vors Gesicht hielt und sie wieder weiter weg hielt, als würde ihr Gegenstand dadurch schlagartig schärfer. Ich starrte die Leiche an, musterte den Hintergrund und nahm Dinge am Rand meines Gesichtsfelds wahr.
    Als ich die Hütte gesehen hatte, war schon kein Mobiliar mehr da. Nur das Gerippe von Lornas Behausung war intakt geblieben: leere Schränkchen sowie Badezimmer-, Küchen- und Elektroinstallationen. Um meiner Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen, war es gut, die Bilder zu sehen. In meinen Gedanken hatten sich die Proportionen der Räume und die relativen Entfernungen bereits zu verzerren begonnen. Ich ging die Bilder ein zweites und dann ein drittes Mal durch. In den zehn Monaten seit Lornas Tod war der Tatort auseinandergenommen worden, und das war alles, was übriggeblieben war. Falls ein Mord jemals bewiesen und ein Verdächtiger vor Gericht gestellt wurde, könnte die gesamte Anklage ohne weiteres ausschließlich auf dem Inhalt dieses Umschlags beruhen. Und wie standen die Chancen? Was konnte ich so spät noch zustande bringen? Eigentlich ahmte ich bei meinen Ermittlungen die in Spiralen verlaufende Methode einer Untersuchung des Tatorts nach: Ich begann in der Mitte und bewegte mich in immer weiter werdenden Kreisen nach außen. Das Problem war nur, daß ich keine Richtung und keine eindeutige Spur verfolgen konnte. Ich hatte ja nicht einmal eine Theorie darüber, warum sie gestorben war. Es war ein Gefühl, als würde ich fischen und die Fliege in der Hoffnung auswerfen, irgendwie einen Killer an den Haken zu bekommen. Das einzige, was dieser verschlagene Teufel tun mußte, war, in Deckung zu bleiben und aus den Tiefen der Bucht meinen Köder im Auge zu behalten.
    Ich blätterte die Akte durch und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Falls er kein Lust- oder Serienmörder ist, muß jemand, der einen Mord begeht, einen Grund haben, ein konkretes Motiv dafür, daß er sein Opfer tot sehen will. Was Lorna Kepler betraf, wußte ich noch immer nicht, was der Grund war. Finanzielle Bereicherung war eine Möglichkeit. Sie hatte Vermögen hinterlassen. Ich notierte mir, daß ich Janice zu diesem Punkt befragen wollte. Ging man von der Annahme aus, daß Lorna keine Nachkommen hatte, wären Janice und Mace ihre gesetzlichen Erben, wenn sie ohne Testament gestorben war. Es war schwer, sich einen von beiden als Mörder vorzustellen. Wäre es Janice gewesen, so wäre es idiotisch, sich selbst in den Rücken zu fallen und mich ins Spiel zu bringen. Mace war ein Fragezeichen. Jedenfalls hatte er meiner Vorstellung von einem trauernden Elternteil nicht entsprochen. Eine weitere Möglichkeit waren ihre Schwestern, obwohl mir keine von

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