Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Wir waren seelenverwandt. Ganz im Ernst. Ich war untröstlich, als ich hörte, daß sie tot ist, ausgerechnet.«
»Und das war das einzige Mal, daß Sie sie gesehen haben? Bei den Dreharbeiten?«
»Nein, ich bin ihr vielleicht zwei Monate später noch einmal über den Weg gelaufen, als sie hier oben beim Einkäufen war, mit dieser schweinchenartigen Schwester.«
»Welche denn? Sie hat zwei.«
»Oh, wirklich. Ich weiß ihren Namen nicht mehr. Irgend etwas Seltsames jedenfalls. Sie sah wie ein Abklatsch von Lorna aus: das gleiche Gesicht, aber total gemästet. Auf jeden Fall sind sie mir auf der Straße in der Nähe des Union Square begegnet, und wir sind stehengeblieben und haben ein bißchen geplaudert. Sie sah so phänomenal aus wie immer. Da habe ich sie zum letzten Mal gesehen.«
»Was ist mit der anderen Schauspielerin, dieser Nancy Dobbs? War sie eine Freundin von Lorna?«
»O Gott. War sie nicht der Untergang? Das reinste Stück Holz.«
»Sie war ziemlich schlecht«, gab ich zu. »Hat sie noch andere Filme für Ayers gedreht?«
»Das bezweifle ich. Nein, ganz bestimmt nicht. Ich glaube, sie hat diesen einen auch nur aus einer Laune heraus gemacht. Jemand anders war engagiert und ist in letzter Minute abgesprungen. Lorna hat sie an die Wand gespielt. Nancy war entsetzlich ehrgeizig, aber ohne das Talent oder den Körper, um es besonders weit zu bringen. Sie gehört zu den Frauen, die sich nach oben zu bumsen versuchen, bloß daß keiner scharf auf sie war; wie weit sollte sie da schon kommen? So eine Kuh.« Russell lachte. »Ehrlich, sie hätte es auch mit einer Kuh getrieben, wenn sie gedacht hätte, daß sie das weiterbringt.«
»Wie ist sie mit Lorna ausgekommen?«
»Soweit ich weiß, hatten sie nie Ärger miteinander, aber insgeheim fühlte sich jede der anderen unendlich überlegen. Das weiß ich, weil sich beide zwischen den Einstellungen mir anvertraut haben.«
»Lebt sie noch in der Stadt? Ich hätte gern mit ihr gesprochen.«
Russell sah mich erstaunt an. »Haben Sie sie denn heute abend nicht gesehen? Ich hatte angenommen, daß Sie bei Ayers mit ihr gesprochen hätten.«
»Was sollte sie denn dort zu suchen haben?«
» Sie ist mit ihm verheiratet. Das ist der Knüller, was? Während der ganzen Dreharbeiten hat sie sich ihm praktisch an den Hals geworfen. Und das nächste, was wir hörten... ta-tah. Mit einem Mal war sie Mrs. Joseph Ayers, die bekannte Gesellschaftsdame. Vermutlich hat er deshalb die Pornofilme abgestoßen. Stellen Sie sich nur vor, wenn das herauskommt. Er nennt sie übrigens >Duchess<. Ist das nicht snobistisch?«
»Gab es je Hinweise darauf, daß Joe Ayers’ Verhältnis zu Lorna nicht rein beruflicher Natur war?«
»Er hatte nie eine sexuelle Beziehung zu ihr, falls Sie das meinen. Es ist wirklich eine Art Klischee, daß diese Typen loszögen, um >die Ware zu testen<. Glauben Sie mir, er war einzig und allein an einem schnellen Dollar interessiert.«
»Lornas Mutter scheint anzunehmen, daß ihr Tod irgend etwas mit dem Film zu tun hat.«
»Das kann schon möglich sein, aber warum sollte jemand sie deswegen umbringen? Sie hätte ein Star werden können, wenn sie noch länger gelebt hätte. Und was die angeht, die daran mitgearbeitet haben: Wir sind miteinander ausgekommen, das können Sie mir glauben. Wir waren alle so dankbar für die Gelegenheit, daß wir uns ganz besonders bemüht haben«, sagte er. »Wie um alles in der Welt hat ihre Mutter davon erfahren?«
»Jemand hat ihr das Band geschickt.«
Russell starrte mein Spiegelbild an. »Als Beileidsbezeugung ist das ausgesprochen geschmacklos«, meinte er. »Aufrichtige Anteilnahme stellt man sich ein bißchen anders vor.«
»Wie wahr.«
Ich fuhr zurück ins Hotel und fühlte mich hellwach. Um zwei Uhr morgens ist in Santa Teresa alles dicht. In San Francisco hatten zwar die Bars geschlossen, aber zahlreiche Geschäfte waren noch geöffnet. Tankstellen, Buchhandlungen, Fitneßstudios, Videoverleihe, Coffee Shops, ja sogar Bekleidungsgeschäfte. Ich stieg aus meinen flachen Slippern und dem Allzweckkleid und streifte die Strumpfhose mit der gleichen Erleichterung ab, die sich auf Cheries Miene gezeigt hatte. Erst als ich in Jeans und Rollkragenpullover steckte, fühlte ich mich wieder wie in meiner eigenen Haut. Ich entdeckte zwei Häuser neben dem Del Rey ein rund um die Uhr geöffnetes Lokal und verspeiste ein üppiges Frühstück. Dann ging ich wieder in mein Zimmer und legte die Kette vor. Ich zog die
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