Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Formulare durch. Ich sah das eigenhändig verfaßte Testament und Janices entsprechende Erklärung. Das war es wohl nicht. Theoretisch schien es unsinnig, daß Janice die Gültigkeit eines Testaments bezeugen konnte, von dem sie in erster Linie selbst profitierte. Andererseits lagen die Dinge aber so, daß das Ergebnis genau das gleiche gewesen wäre, wenn Lorna ohne Testament gestorben wäre.
Ich nahm die Kontoauszüge und wühlte sie ebenfalls noch einmal durch. Ich hielt inne, als ich zu dem Formular der Bank in Simi kam. Die Zinsen waren minimal, da sie das Konto im April aufgelöst hatte. Davor hatte der Kontostand ungefähr zwanzigtausend Dollar betragen. Ich sah nach dem Datum der Kontoauflösung. Das ganze Geld war am Freitag, dem 20. April, abgehoben worden. Am Tag vor ihrem Tod.
Ich holte die Akten heraus, die mir Lieutenant Dolan überlassen hatte. Die Aufstellung der gesamten persönlichen Habe nannte alle möglichen Gegenstände in Lornas Behausung, unter anderem ihre Handtasche mit der Brieftasche, in der sämtliche Kreditkarten und hundert Dollar in bar steckten. Nirgends eine Spur von zwanzigtausend Dollar. Ich nahm den Bankauszug mit in den Kopierraum, lichtete ihn ab und steckte ihn in meine Handtasche. Serena Bonney war die erste am Tatort gewesen. Ich suchte in meinen Unterlagen die Adresse ihres Vaters heraus, packte Lornas Papiere und die Fotos vom Tatort zusammen und trug die Schachtel die Treppen hinunter ins Auto.
*
Clark Esselmanns Adresse erwies sich als ein weitläufiges Anwesen von vielleicht zweieinhalb oder drei Hektar, umringt von einer niedrigen Sandsteinmauer, hinter der die Rasenflächen von der Dunkelheit verschluckt wurden. Außenscheinwerfer gossen Licht über die Fassade des Hauses, das dem französischen Landhausstil nachempfunden war und unter einem steilen Dach langgestreckt und niedrig dalag. Sprossenfenster bildeten auf der Fassade ein gelbes Netzwerk, während die hohen Natursteinkamine wie schwarze Türme in den anthrazitfarbenen Himmel ragten. Niedrigvoltlampen beleuchteten Büsche und Gehwege, so daß ich einen brauchbaren Eindruck davon bekam, wie es hier bei Tag aussehen mußte. Das Licht aus einem kleinen Gebäude hinter dem Haupthaus ließ vermuten, daß es noch ein Gästehaus oder vielleicht Personalwohnungen gab.
Am Haupteingang angekommen, sah ich die elektronisch gesteuerten Tore. Eine Tastatur mit Sprechanlage war auf Höhe der Fenster teurer Wagen angebracht. Natürlich brachte mich mein VW hier in Verlegenheit, und um klingeln zu können, mußte ich die Handbremse anziehen, die Autotür öffnen und auf die Gefahr hin, mir heftige Rückenkrämpfe einzuhandeln, meinen ganzen Körper verrenken. Ich drückte auf den Knopf und wünschte, ich könnte einen Big Mac und Pommes frites bestellen.
Eine körperlose Stimme meldete sich.»Ja?«
»Oh, hallo. Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich habe einen Schlüsselbund, der Serena Bonney gehört.«
Es kam keine Antwort. Was hatte ich denn erwartet — daß sie verblüfft nach Luft schnappte? Eine halbe Sekunde später schwangen die zwei Hälften des Tors lautlos nach innen. Ich bewegte meinen VW langsam die kreisförmige, von Wacholderbüschen gesäumte Einfahrt hinauf. Der Vorplatz war gepflastert, und von dort führte eine Fahrspur nach links und eine zweite hinters Haus. Ich konnte Garagen sehen, die wie Pferdeställe aneinandergereiht waren. Aus reiner Aufsässigkeit fuhr ich an der Vordertür vorbei und ums Haus herum bis zu einem hellerleuchteten, gekiesten Stellplatz. Die Vierergarage war mit dem Haupthaus durch einen langen, überdachten Gang verbunden, hinter dem ich einen schmalen Streifen Gras sehen konnte, unterbrochen von einem künstlich angelegten Teich, zwischen dessen Steinen Unterwasserscheinwerfer verborgen waren. Auf dem ganzen Anwesen hoben Lichter landschaftliche Besonderheiten hervor: ornamental zurechtgestutzte Büsche und Baumstämme, die aussahen wie mit Ölfarbe auf schwarzem Samt gemalt. Auf der klaren schwarzen Oberfläche des Teichs wuchsen Büschel von Seerosen, die die perfekte Spiegelung des Hauses brachen.
Nachtblütiger Jasmin verströmte seinen Duft. Ich ging zurück zur Vordertür und klingelte, wie es sich gehört. Kurz darauf machte mir Serena in Hosen und weißer Seidenbluse die Tür auf.
»Ich habe Ihnen Ihren Schlüsselbund gebracht«, sagte ich und hielt ihr die Schlüssel hin.
»Das sind meine? Ach ja, stimmt«, sagte sie. »Woher haben Sie die?«
»Lornas Mutter hat
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