Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
sie gefunden. Sie müssen sie Lorna gegeben haben, als sie Ihren Vater betreut hat.«
»Danke. Das hatte ich vergessen. Nett, daß Sie sie mir vorbeibringen.«
»Außerdem habe ich noch eine Frage, falls Sie einen Moment Zeit haben.«
»Sicher. Kommen Sie herein. Dad sitzt draußen auf der Terrasse. Er ist heute erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Kennen Sie ihn eigentlich?«
»Ich glaube nicht, daß wir uns je begegnet sind«, sagte ich.
Ich folgte ihr durchs Haus in eine große, rustikale Küche. Eine Köchin war dabei, das Abendessen zuzubereiten, sah aber kaum von ihrem Küchenbrett auf, als wir den Raum durchquerten. Ein zwanglos gedeckter Eßtisch, groß genug für acht Personen, stand auf der anderen Seite des Raums in einem Erker mit Glastüren. Die Balkendecke erhob sich bis auf anderthalb Stockwerke. An hölzernen Haken hingen Körbe in allen Größen und getrocknete Kräuter. Der Fußboden bestand aus hellem, glänzendem Kiefernholz. Der Schnitt des Raums bot Platz für zwei separate Kochinseln, die etwa drei Meter voneinander entfernt standen. Eine von ihnen besaß eine Oberfläche aus dunklem Granit, in den Schneidflächen aus Hartholz und eine kleine Spüle eingelassen waren. In der anderen befanden sich eine große Spüle, zwei Spülmaschinen und eine Müllpresse. In einem offenen Kamin brannte ein loderndes Feuer.
Serena öffnete die Glastüren, und ich folgte ihr nach draußen. Eine großzügige, mit Platten ausgelegte Terrasse erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses. Die Außenbeleuchtung schuf ein künstliches Tageslicht. Ein schwarzgrundiges Schwimmbecken, etwa fünfundzwanzig mal sechs Meter groß, markierte den äußeren Rand der Terrasse. Das Wasser war klar, doch die schwarzen Fliesen schienen seine inneren Dimensionen auszulöschen. Unterwasserscheinwerfer beleuchteten ein wogendes, smaragdgrünes Gespinst, das das Becken unendlich tief erscheinen ließ. Dort hineinzutauchen käme einem Sprung ins Loch Ness gleich. Gott weiß, was für Kreaturen im Abgrund lauerten.
Clark Esselmann, mit Bademantel, Pantoffeln und einem Stock in der Hand, versuchte, einen schwarzen Labrador zum Sitzen zu bringen. »Okay, Max. So ist’s gut. So ist’s gut.«
Der Hund war erwachsen und an Hundejahren wahrscheinlich genauso alt wie der Mann. Max zitterte beinahe, völlig von dem Spielchen in Anspruch genommen. Als wir uns näherten, warf der Alte den Stock ins Schwimmbecken. Der Hund stürzte sich ins Wasser und schwamm auf den Stock zu, der nun am anderen Ende im Wasser auf und ab hüpfte. Ich erkannte Serenas Vater wegen der zahlreichen Fotos, die im Lauf der Jahre von ihm im Santa Teresa Dispatch erschienen waren. Weißhaarig und Mitte Siebzig, hielt er sich ganz altmodisch so aufrecht, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Falls ihm seine Herzprobleme zu schaffen machten, so sah man es ihm zumindest nicht an.
Serena sah ihnen lächelnd zu. »Das ist das erste Mal, daß er dazu kommt, sich um Max zu kümmern. Normalerweise machen sie das morgens als allererstes. Das ist vielleicht ein Anblick. Dad schwimmt auf der einen Bahn und der Hund auf der anderen.«
Undeutlich nahm ich wahr, daß irgendwo im Haus das Telefon klingelte. Der Hund nahm den Stock zwischen die Zähne, schwamm auf uns zu und erklomm dann die Stufen am vorderen Ende des Beckens.
Das Wasser troff ihm von seinem fettigen Fell. Max ließ den Stock zu Esselmanns Füßen fallen und schüttelte sich heftig. Wasser spritzte in alle Richtungen. Serena und ihr Vater lachten. Esselmann wischte die Tropfen ab, die das Wasser auf seinem Bademantel hinterlassen hatte. Ich hätte schwören können, daß Max grinste, aber ich kann mich auch getäuscht haben.
Ein Dienstmädchen in einer schwarzen Uniform erschien in der Terrassentür. »Mr. Esselmann? Telefon für Sie.«
Der Alte drehte sich um und sah in ihre Richtung, dann ging er aufs Haus zu, während der Hund an seiner Seite tänzelte und bellte, wohl in der Hoffnung auf weiteres Stöckchenwerfen. Serena fing meinen Blick auf und lächelte. Die Entlassung ihres Vaters aus dem Krankenhaus hatte ihre Stimmung sichtlich aufgehellt. »Kann ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?«
»Lieber nicht«, sagte ich. »Von Wein werde ich schläfrig, und ich habe noch etwas zu erledigen.«
Wir gingen durch die Terrassentür in die Küche zurück, wo das Kaminfeuer fröhlich knisterte. Esselmann stand an der Wand gegenüber und telefonierte. Er warf einen Blick über die Schulter und
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