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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ausbalanciert werden und sich gegenseitig stützen. Dann fügte man eine dritte im Winkel zu den beiden dazu. Dann eine vierte und eine fünfte. Irgendwann im Verlauf des Weiterbaus, wenn der Gesamtumfang zunahm, bestand stets die Gefahr, dass das Ganze einstürzte und in sich selbst zusammenfiel wie — na ja, wie ein Kartenhaus. Perverserweise hatte ich das manchmal sogar selbst ausgelöst, indem ich mit dem Finger gegen eine Ecke schnippte und zusah, wie sich die Kartenkonstruktion in Zeitlupe auflöste wie bei einem Abbruchprojekt.
    Ich blickte auf die Karte in meiner Hand und las die Notiz auf ihr, bevor ich sie auf den Stapel legte. Sorgfältig fügte ich eine weitere Karte zu dem Irrgarten hinzu. Ich hielt inne, um sie wieder wegzunehmen, und las noch einmal das Datum. Blitzartig überkam mich die Erkenntnis, und ich musste blinzeln. Ich hatte eine Verbindung gesehen, zwei Karteikarten, die plötzlich einen Zusammenhang bildeten. Ich war vielleicht dämlich, dass ich das nicht vorher gesehen hatte! Ein Name tauchte zweimal auf, und ich merkte, wie sich meine Wahrnehmung verschob. Es war wie der heftige Ruck eines Erdbebens, das aus dem Nichts kam und im Handumdrehen wieder vorbei war. Was ich gesehen hatte, war der Name Del Amburgey, also des Mannes, mit dem mich Shack am selben Abend im Tonk bekannt gemacht hatte. Delbert Amburgey war auch der Name auf einem von Mickeys Sätzen falscher Papiere: kalifornischer Führerschein, Kreditkarten und Sozialversicherungskarte.
    Ich legte die Karteikarten beiseite und zog die Dokumente heraus, auf denen Mickeys Gesicht oberhalb der Daten aufgeklebt war, die vermutlich von Delbert stammten. Ich drehte mich auf meinem Drehstuhl und musterte die Wirkung. Gehörten diese Papiere wirklich Delbert, oder war seine Identität gestohlen worden? War das Geburtsdatum echt oder geschwindelt, geliehen oder erfunden, und wie war das bewerkstelligt worden? Ich wusste, dass Kreditkartenbetrüger sich oft auf »Mülltonnenwühlen« verlegten und so Scheckabschnitte oder Überweisungsdurchschläge ergatterten, ja sogar Kreditkartenabrechnungen, die jemand nach Begleichung seiner monatlichen Rechnungen weggeworfen hatte. Die Daten auf den Abrechnungen konnten dazu verwendet werden, zusätzliche Kredite zu erschleichen. Der Betrüger beantragte Karten, indem er sich auf einen der betreffenden Person bereits eingeräumten Kreditrahmen berief. Auf diese Art konnte man unzählige neue Konten eröffnen. Mit einem Namen, einer Adresse und einer Sozialversicherungsnummer konnte man an Geldautomatenkarten kommen, ebenso an Blankoschecks oder Leistungen aus Versicherungspolicen. Der Betrüger nannte der Kreditkartengesellschaft eine zweite Adresse, so dass der Besitzer der Karte gar nicht merkte, dass Waren und Dienstleistungen von seinem rechtmäßigen Konto abgebucht wurden. Außerdem ließen sich die Karten durch eine Reihe von Bargeldabhebungen melken. Auf dem freien Markt, wo Straftäter, illegale Einwanderer und chronische Bankrotteure sich den Start in ein neues Leben kaufen konnten und sofort Tausende von Dollar frisches Kreditkapital zu ihrer Verfügung hatten, waren die falschen Papiere aus Mickeys Besitz einiges Geld wert.
    Ich machte mich erneut über Mickeys Bankunterlagen her. Ich studierte sein Sparbuch und begann die regelmäßigen Abhebungen von sechshundert Dollar an Terminen, die mit seinen Fahrten ins Tonk zusammenfielen, langsam zu begreifen. Ich dachte an Tim und das Gespräch, das wir über das Obergeschoss geführt hatten, von dem er behauptet hatte, dass er dort zusätzliche Tische aufstellen wolle. Rückblickend staunte ich darüber, wie gekonnt ich übertölpelt worden war. Er hatte mir den Köder hingehalten — die unverschlossene Tür — und dahinter den Blick auf etwas, das unausgebauter Lagerraum zu sein schien. Ich hatte gesehen, wie der Türsteher die Führerscheine der Leute, die ins Lokal eingelassen wurden, durch ein Lesegerät schob. Da das Lokal von jedem Vorgang eine Kopie behielt, wäre es ein Leichtes, die Kreditkartennummern auf die Daten der Führerscheine abzustimmen. Ich konnte zwar den ganzen Umfang noch nicht einschätzen, doch es gab Leute, die Bescheid wissen mussten.
    Erneut sah ich auf die Uhr. Es war fünf vor zwei. »Ach du Scheiße«, murmelte ich. Ich hatte Thea gesagt, dass ich mich mit ihr treffen würde, sobald sie um zwei von der Arbeit kam. Ich sprang auf, schob sämtliche Karten in meine Schreibtischschublade und schloss sie ab.

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