Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
Mickeys falsche Papiere legte ich wieder in ihr Versteck. Dann schnappte ich mir Jacke und Autoschlüssel. Binnen Minuten war ich auf der 101 und fuhr erneut in nördlicher Richtung auf Colgate zu. Ich musste der Versuchung widerstehen, das Gaspedal bis zum Boden durchzutreten. Es herrschte wenig Verkehr, der Freeway war praktisch verlassen, doch ich wusste, dass zu dieser Zeit die California Highway Patrol unterwegs war. Eine Verkehrskontrolle oder ein Strafmandat wegen zu schnellen Fahrens hätte mir gerade noch gefehlt. Ich ertappte mich dabei, wie ich laut vor mich hin sprach und den VW zu mehr Leistung antrieb, während ich inständig hoffte, dass Thea im Coffeeshop auf mich warten würde. Das rund um die Uhr geöffnete Lokal teilte sich mit dem Bowling-Center nebenan einen Parkplatz. Jede Lücke war voll, und ich stöhnte, während ich herumkurvte und nach einem freien Fleck suchte. Schließlich ließ ich mein Auto an einer nur mäßig illegalen Stelle stehen. Ich machte Scheinwerfer und Motor aus, öffnete die Tür und stieg aus. Es war dreizehn Minuten nach zwei. Ich schloss den Wagen ab, sauste im Laufschritt auf das Lokal zu und blieb erst zum Atemholen stehen, als ich bereits die Tür aufriss und mich nach Thea umsah.
Sie saß ganz hinten in einer Nische und rauchte eine Zigarette. Das grelle Neonlicht wischte sämtliche Konturen aus ihrem Gesicht und ließ ihre Miene so ausdruckslos wirken wie ein Kabuki-Make-up.
Ich setzte mich ihr gegenüber. »Danke, dass Sie gewartet haben«, sagte ich. »Ich war mit Papierkram beschäftigt und habe die Zeit vergessen.«
»Macht nichts«, erwiderte sie. »Mein Leben geht sowieso im Eiltempo vor die Hunde. Was juckt da noch eine Kleinigkeit?«
Sie wirkte seltsam abwesend, und ich vermutete, dass sie zu viel Zeit gehabt hatte, um es sich anders zu überlegen. Vorher im Honky-Tonk hätte ich schwören können, dass sie sich mir anvertrauen würde. Leute mit Problemen sind meist froh über eine Gelegenheit, sich aussprechen zu können. Man muss sie nur im richtigen Moment erwischen, und schon erzählen sie einem alles, was man wissen will. Ich hätte mich selbst dafür ohrfeigen können, dass ich keine Gelegenheit gefunden hatte, sie dort beiseite zu nehmen. Nun war es wahrscheinlich zu spät.
»Hören Sie, ich weiß, dass Sie sauer sind, weil ich nicht gleich gesagt habe, wer ich bin...«, begann ich.
»Unter anderem«, fiel sie mir bissig ins Wort. »Ich meine, hören Sie bloß auf. Sie sind Privatdetektivin und Mickeys Exfrau.«
»Also bitte, Thea, seien Sie so gut. Wenn ich das gleich gesagt hätte, hätte ich dann irgendetwas erfahren?«
»Wahrscheinlich nicht«, gab sie zu. »Aber Sie hätten nicht lügen müssen.«
»Natürlich musste ich das. Das war das einzige Mittel, das ich hatte, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.«
»Was spricht denn dagegen, ehrlich zu sein? Oder geht das über Ihren Horizont?«
»Ich soll also ehrlich sein. Und was ist mit Ihnen? Sie sind es doch, die hinter Scotts Rücken mit Mickey vögelt.«
»Sie haben auch mit ihm gevögelt!«
»Nee. Tut mir Leid. Ich war das nicht.«
Sie sah mich verständnislos an. »Aber Sie haben doch gesagt...«
»M-m. Mag sein, dass Sie diesen Schluss gezogen haben, aber gesagt habe ich es nie.«
»Sie waren es nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
Verdutzt begann sie zu blinzeln. »Wem hat dann das Diaphragma gehört?«
»Gute Frage. Die Antwort darauf habe ich auch gerade erst herausgefunden. Sieht ganz danach aus, als hätte es unser lieber Mickey noch mit einer anderen getrieben.«
»Mit wem?«
»Ich glaube, das behalte ich momentan lieber für mich.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Welchen Teil? Sie wissen doch, dass er sich noch mit einer anderen getroffen hat. Sie haben den Beweis dafür selbst gesehen. Aber wenn Sie Scottie nicht systematisch betrügen würden, müssten Sie sich über so was nicht den Kopf zerbrechen.«
Ihr Blick fixierte mich.
»Sie brauchen nicht so trübsinnig dreinzusehen«, sagte ich. »Mit mir hat er es genauso gemacht. Er ist einfach so.«
»Das ist es nicht. Mir ist gerade klar geworden, dass es mir nicht so viel ausmachen würde, wenn Sie es gewesen wären. Zumindest waren Sie früher mit ihm verheiratet, daher wäre es nicht ganz so schlimm. Ist er in diese andere Frau verliebt?«
»Falls er das ist, so hat es ihn jedenfalls nicht daran gehindert, etwas mit Ihnen anzufangen.«
»Ehrlich gesagt war ich hinter ihm her.«
»O Mann. Ich sage das ja
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