Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
mit ihrem Wagen gefolgt und parkten in einem Eukalyptushain etwa hundert Meter weit weg. Ich hatte den Kassettenrecorder in der Tasche, war aber nicht verkabelt, so dass sie die Unterhaltung nicht verfolgen konnten, wenn ich im Haus verschwunden war. Niemand (soll heißen die beiden) schien dies für ein Problem zu halten, da ich mich ja im Haus der Bethels befände und noch weitere Personen (soll heißen Dienstboten) anwesend wären. Unser Plan — falls man ihn so bezeichnen kann — besagte, dass sie draußen warten sollten und mir nachfahren würden, wenn ich das Anwesen verließ. Dann würden wir zu mir nach Hause fahren, das Band abhören und sehen, ob das, was wir aufgezeichnet hatten, für eine Anklage reichte. Wenn ja, würden wir uns einen Richter suchen, der wegen Angriffs mit einer tödlichen Waffe und versuchten Mordes an Mickey Magruder einen Haftbefehl für Mark ausstellte. Wenn nicht, würden wir zu Plan B übergehen, über den wir uns nicht recht einig geworden waren. Wenn man genauer darüber nachdachte, schien auch Plan A ziemlich unausgegoren zu sein, aber nun stand ich hier am Tor und hatte bereits auf die Klingel gedrückt.
Ich rechnete damit, dass mich jemand über die Sprechanlage nach meinem Namen fragen würde. Stattdessen hörte ich gar nichts. Das Tor schwang einfach auf und ließ mich ein. Ich winkte den »Jungs« zu und legte einen Gang ein. Die Einfahrt war lang und nach links geschwungen. Das Land auf beiden Seiten war kahl — abgesehen von Gräsern, die sich unter dem Seewind beugten. Hin und wieder unterbrach ein Baum die Horizontlinie, eine scharfe Silhouette vor dem sanfteren Dunkel des Himmels. Ich konnte die erleuchteten Fenster des Hauses sehen, die strahlend gelb und weiß in dem wuchtigen Klotz aus dunklem Stein lagen. Ich parkte vor dem Haus auf einer weiten gekiesten Fläche. Dann stellte ich den Motor aus, saß da und betrachtete das Haus durch das Fenster auf der Fahrerseite.
Das Gebäude erinnerte mich vage an das Haus von Duncan Oaks in Louisville. Obwohl es sich einen Anstrich von Alter gab, wusste ich, dass die Bauarbeiten erst vor fünf Jahren abgeschlossen worden waren, was das Fehlen hoher Bäume erklärte. Das Äußere bestand aus Stein und Stuck. Strahler erleuchteten die Fassade mit ihrer altrosafarbenen Tünche, unter der Braun hindurchschimmerte. Theoretisch sollte der Stil mediterran oder italianisierend sein, eine dieser Hybridformen, die in Kalifornien gern nachgeahmt werden, aber die Bogen über den Fenstern erinnerten doch stark an ihre Pendants in Kentucky. Die Eingangstür war zurückgesetzt und lag geschützt in einem von kannelierten Säulen flankierten Portikus. Sogar die Brüstung war ähnlich gestaltet. War Laddie klar, was sie getan hatte, oder hatte sie Duncans Haus unbewusst imitiert? Was ist es, das uns dazu bringt, unsere ungeklärten Konflikte immer wieder auszuagieren? Wir kehren zu unseren Verletzungen zurück und reproduzieren die Vergangenheit — in der Hoffnung, dass wir es dieses Mal schaffen werden, ein gutes Ende herbeizuführen.
Die Kutschenlampen auf beiden Seiten der Tür gingen an. Zögerlich griff ich nach meiner Tasche. Ich hatte das Reißverschlussfach offen gelassen, und der Kassettenrecorder war in Reichweite. Ich stieg aus dem Wagen, überquerte knirschend die Parkfläche und stieg die flachen Stufen zur Haustür hinauf. Laddie machte auf, bevor ich dazu kam, auf die Klingel zu drücken. »Hallo, Kinsey. Wie nett von Ihnen, den ganzen Weg hier raus zu fahren. Hoffentlich haben Sie unser Haus gleich gefunden.«
»Ja, sicher. Es ist wirklich schön.«
»Uns gefällt’s«, sagte sie milde. »Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?«
»Erst mal nicht. Es ist kalt.«
Sie schloss hinter mir die Tür. »Kommen Sie ins Wohnzimmer. Ich habe ein schönes Feuer brennen. Möchten Sie etwas trinken? Ich trinke ein Glas Wein«, sagte sie. Sie ging bereits aufs Wohnzimmer zu. Ihre Absätze klickten elegant auf dem glänzend polierten Kalksteinboden.
Ich folgte ihr und sagte: »Lieber nicht, danke. Ich habe schon zum Abendessen Wein getrunken, und das ist mein Limit.«
Wir traten nach unten ins Wohnzimmer mit seiner vier Meter hohen Kassettendecke. Eine ganze Wand aus Glastüren ging auf einen Innenhof hinaus. Der Raum war erstaunlich hell und in verschiedenen Cremetönen eingerichtet: der sieben mal acht Meter große Teppich, die Wände und die drei dick gepolsterten, identischen Zweiersofas, die den Kamin umstanden. In Sofakissen
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