Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
begleichen. Ich studierte die nächsten Tage in meinem Kalender, als mir der Anruf wieder einfiel, der am 27. März von Mickeys Apparat an meinen gegangen war. Ich hatte noch nicht in meinem Büro-Terminkalender nachgesehen, wo ich an diesem Tag gewesen war. Ebenso wie in meinem Privatkalender zu Hause war dieser Donnerstag ohne Eintrag. Auch am 26. und 28. März stand nichts, und so konnte ich auch keinen von beiden als Sprungbrett für mein Gedächtnis nutzen.
Um halb sechs schloss ich ab und fuhr durch das, was in Santa Teresa als Stoßverkehr gilt, zu meiner Wohnung zurück, was bedeutete, dass ich für den Heimweg fünfzehn Minuten brauchte anstatt der üblichen zehn. Die Sonne hatte es schließlich geschafft, den hartnäckigen Dunst, der über dem Meer hing, zu durchdringen, und die Hitze im Auto machte mich schläfrig. Ich merkte, ich würde für meinen nächtlichen Streifzüge büßen müssen. Ich parkte ein Stück weit weg von meiner Wohnung und trat durchs Tor. Mein Zuhause war gemütlich, und ich freute mich, die Tür hinter mir schließen zu können. Die emotionale Achterbahnfahrt der vergangenen Tage hatte einen merkwürdigen Stimmungsüberdruss ausgelöst, der sich meiner Vermutung nach als Depression niederschlug. Egal, woher meine Stimmung kam, ich fühlte mich angegriffen. Ich stellte meine Umhängetasche auf einen Barhocker und ging ums Ende des Tresens herum in die Küche. Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen. Ich machte den Kühlschrank auf und starrte auf die leeren Flächen. Als mir Mickeys Küchenschränke einfielen, wurde mir bewusst, dass meine Vorräte an Nahrungsmitteln auch nicht viel mehr hermachten als seine. Absurd, dass wir geheiratet hatten, wo wir doch gleichzeitig zu ähnlich und viel zu verschieden waren.
Kurz nach der Hochzeit begriff ich nach und nach, dass er die Kontrolle verloren hatte... zumindest aus der Perspektive von jemandem mit meiner von Grund auf furchtsamen Natur. Ich fühlte mich unbehaglich angesichts dessen, was mir bei ihm als Zügellosigkeit und Sichgehenlassen erschien. Meine Tante Gin hatte mich gelehrt, Maß zu halten — in meinen persönlichen Gewohnheiten, wenn schon nicht mit Schimpfwörtern. Zuerst hatte ich Mickeys Hedonismus anziehend gefunden. Ich wusste noch, wie ich eine fast schwindlige Erleichterung über seine Esslust, seine Liebe zum Rausch und seinen unersättlichen Appetit auf Sex empfunden hatte. Was er bot, war die stillschweigende Erlaubnis, meine Lust zu erforschen, die bis dahin ungeweckt geblieben war. Außerdem lag mir seine Geringschätzung jeglicher Autorität, und ich war fasziniert von seiner Respektlosigkeit gegenüber dem System, noch dazu, während er selbst in einem Beruf arbeitete, der darauf abzielte, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch ich hatte einen Hang dazu, außerhalb anerkannter gesellschaftlicher Normen zu agieren. In der Grundschule und später in der High School kam ich oft zu spät oder schwänzte und fühlte mich zu zwielichtigen Mitschülern hingezogen — zum Teil, weil sie meinen eigenen Trotz und meine eigene Aufsässigkeit repräsentierten. Als ich mit zwanzig Mickey kennen lernte, war ich dummerweise bereits auf dem Rückweg von den Randbereichen schlechten Benehmens. Während Mickey begann, sich mit seinen inneren Dämonen anzufreunden, war ich schon dabei, mich von meinen zu lösen.
Und jetzt — hinterher — ist es unmöglich zu beschreiben, wie lebendig ich mich in dieser kurzen Phase gefühlt hatte.
Zum Abendessen machte ich mir ein Sandwich mit Oliven und Paprikakäse, indem ich diesen göttlichen Aufstrich von Kraft verwendete, den es in Gläsern gibt. Ich schnitt das Brot ordentlich in vier Streifen, ließ die Krusten dran und benutzte ein Stück Küchenkrepp als Serviette und Teller zugleich. Zu diesem gesunden Hauptgericht nippte ich ein Glas Chardonnay und fühlte mich von Grund auf getröstet. Hinterher knüllte ich mein Tafelgeschirr zusammen und warf es in den Müll. Nachdem damit Essen und Spülen erledigt war, stellte ich die beiden Matchsäcke auf die Arbeitsfläche und packte meine Werkzeuge sowie die Beute aus, die ich in der Nacht zuvor bei Mickey hatte mitgehen lassen. Ich legte alles auf den Tresen und hoffte, der Anblick würde eine neue Interpretation in Gang bringen.
Es klopfte an der Tür. Ich schnappte mir die Zeitung und schlug sie auf, so dass ich sie über die Sachen breiten konnte und es so aussah, als hätte ich interessiert gelesen und mich über
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