Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
schüttelte jemand eine frische Mülltüte auf, nachdem er den Abfall hinausgebracht hatte. Ich ging zur nächsten Türöffnung, tappte den Flur entlang und spähte dabei in alle Richtungen. Die lose Abdeckung war nirgends zu sehen; es gab nur Räume, die sich in andere Räume öffneten, allesamt durchdrungen von erbarmungslosem Sonnenlicht. Mit geschärften Sinnen blieb ich stehen. Da fiel mir ein, worauf ich schon gleich hätte kommen sollen: Das Tuley-Belle war der ideale Schauplatz für einen Mord. Die Schreie des Opfers wären keine hundert Meter weit zu hören. Wenn der Mord draußen stattfand, konnte man das Blut verbergen, indem man das Erdreich mit einem Spaten umgrub. Fand er drinnen statt, konnte man die Böden abschrubben und die Lumpen anschließend vergraben wie seltsame Erdmutationen.
Das Tuley-Belle erinnerte mich an großartige, antike Ruinen, als wäre eine primitive Kultur auf unerklärliche Weise gekommen und wieder verschwunden. Selbst bei hellem Tageslicht roch ich die Niederlage. Ich wusste, dass ich allein war. Aufgrund der isolierten Lage wäre jeder, der sich mit dem Auto näherte, meilenweit zu sehen. Auch konnten überall auf dem Gelände Landstreicher sein. Es gab unzählige Ecken, wo man sich verstecken konnte, und Möglichkeiten, sich verborgen zu halten, falls das nötig war. Ich ging den gleichen Weg zurück, wobei ich mich zwang, nicht zu rennen, und holte kaum Atem, bis ich sicher wieder im Auto saß. Das musste Stacey sehen.
Als ich wieder am Motel anlangte, tigerte er vor meiner Zimmertür auf und ab. Ich vermutete, dass er Lust auf eine neue Runde Fastfood hatte, da ich mir nicht vorstellen konnte, was sonst eine solche Erregung hätte auslösen sollen. Sowie er mich sah, kam er zum Auto gehastet. Ich kurbelte das Fenster herunter, und er lehnte sich auf die Kante, grinste und zeigte auf sein Gesicht. »Hey, schön, Sie zu sehen! Ich dachte schon, Sie würden nie mehr auftauchen. Wissen Sie, was das ist? So sehe ich aus, wenn ich mich freue wie ein Schneekönig.«
»Was gibt’s denn?«
Er trat einen Schritt zurück und öffnete die Autotür, damit ich aussteigen konnte. »Joe Mandel hat mich angerufen. Die Experten für Fingerabdrücke machen Überstunden. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass es so aussieht, als hätte jemand versucht, den Mustang abzuwischen. Tja, nun hat sich herausgestellt, dass das nicht besonders gründlich geschehen ist, weil die Techniker nämlich zweierlei Abdrücke gefunden haben: die einen auf der Handbremse, dem Tankdeckel, dem Innenrand des Reservereifens und außen am Handschuhfach. Anscheinend hat sich der Fahrer rübergebeugt, um irgendwas rauszuholen, und hat es dann wieder zugeschlagen. Den zweiten Satz Abdrücke haben sie auf einer Landkarte von Kalifornien gefunden, die unter den Beifahrersitz geschoben worden war.«
»Und sie haben nach all den Jahren brauchbare Abdrücke abnehmen können?«
Stacey winkte ab. »Die können alles. Es ist auch günstig, dass das Auto aus dem Verkehr gezogen und in diesem Schuppen eingeschlossen war.«
»Von wem stammen die Abdrücke?«
Stacey verzog gequält das Gesicht. »Jetzt drängeln Sie mal nicht so, sondern lassen Sie es mich auf meine Art erzählen. Sie haben beide Abdrücke mit denen von Charisse verglichen, aber damit hatten sie kein Glück. Meine Theorie ist ja, dass sie schon tot war und im Kofferraum gelegen hat. Der Reservereifen war rausgenommen und wahrscheinlich auf dem Rücksitz untergebracht worden, um Platz für sie zu schaffen. Derjenige, der das Auto abgewischt hat, hat uns im Grunde einen Gefallen getan. Die meisten zufälligen Abdrücke sind weg, aber die, die er übersehen hat, waren glasklar. Mandel hat beim ersten Satz schon in ein paar Minuten einen Treffer gelandet. Raten Sie mal, von wem die Abdrücke sind? Sie kommen nie drauf. Das ist ja so köstlich.«
»Frankie Miracle.«
»Das hab ich auch gesagt, aber das war falsch. Raten Sie noch mal.«
»Stacey, wenn Sie’s jetzt nicht ausspucken, stürze ich mich auf Sie und erschlage Sie.«
»Pudgie.« Ich merkte, wie ich blinzelte. »Sie glauben, Pudgie hatte was damit zu tun?«
Stacey lachte. »Das weiß ich noch nicht, aber es ist gut möglich. Als Mandel es mir eröffnet hat, wären mir fast die Zähne rausgefallen. Aber wenn man sich’s genauer überlegt, ist es einleuchtend. Als Sie im Gefängnis mit Pudgie gesprochen haben, muss ihm mulmig geworden sein. Wahrscheinlich hat er geglaubt, die Sache wäre vergessen, aber
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