Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
mir, und zu Dolan: »Verdammt noch mal! Kannst du vielleicht aufhören zu quatschen, wenn ich mit ihr telefoniere?« Weiteres Gemurmel von Dolan.
»Schwachsinn. Kommt nicht infrage.« Stacey meldete sich wieder. »Der Kerl macht mich wahnsinnig. Er behauptet, er kommt bestens alleine klar, aber er lügt wie gedruckt. Sobald ich ihm den Rücken zudrehe, rennt er los und kauft sich eine Schachtel Zigaretten. Man sollte ihn einsperren.«
Im Hintergrund hörte ich eine Tür knallen.
»Du mich auch, Mann!«, brüllte Stacey. »Ich rufe Sie auf jeden Fall an, wenn ich losfahre. Dann können Sie an der Rezeption ein Zimmer für mich reservieren.«
Als wir unser Gespräch beendet hatten, rief ich bei Henry an, wo sich der Anrufbeantworter einschaltete. Ich sprach ihm auf Band, dass er mir fehlte und ich wieder anrufen würde. Ich las noch etwa eine Stunde und bestellte mir dann eine Pizza. Ich hatte keine Lust, auszugehen und ohne Begleitung eine richtige Mahlzeit einzunehmen. Normalerweise esse ich gern allein in einem Restaurant. Aber jetzt, wo Stacey und Dolan weg waren, befremdete mich die Vorstellung. Der Mord an Pudgie hatte mir einen massiven Schrecken eingejagt. Es war etwas ganz anderes, als mit einem Mord zu tun zu haben, der vor achtzehn Jahren geschehen war. Was auch immer das Motiv dafür gewesen war, die Zeit hatte eine lange Abkühlungsphase gewährt. Das Leben war weitergegangen. Der Mörder hatte es geschafft, einmal zuzuschlagen und ungeschore avonzukommen. Ich hatte angenommen, dass es keinen Grund dafür gäbe, noch einmal zu töten, aber Pudgies Tod bewies, wie falsch ich damit gelegen hatte. Der Einsatz war nach wie vor hoch. In den Jahren dazwischen hatte irgendjemand ein Leben genossen, das auf einer Lüge beruhte. Und jetzt waren wir gekommen und bedrohten den Status quo. Ich aß zu Abend und warf die leere Schachtel in den Müll. Dann sah ich mir zwei Fernsehshows mit ätzenden Lachern vom Band an. Um neun Uhr kam ich zu dem Schluss, dass ich genauso gut arbeiten konnte. Systematische Aufzeichnungen zu führen hat beruhigende Nebenwirkungen. Ich setzte mich an den Schreibtisch und zog die Schublade auf.
Die Sachen waren verschoben worden.
Ich starrte auf sie herab, sah mich dann im Zimmer um und fragte mich, ob jemand eingedrungen war. Nein, nicht ob. Ich fragte mich, wer eingedrungen war und sich am Inhalt der Schublade zu schaffen gemacht hatte. Das letzte Mal, dass ich mir Notizen gemacht hatte, musste am Samstagnachmittag gewesen sein. Stacey und ich waren in Creosote gewesen und hatten auf dem Nachhauseweg das Tuley-Belle besichtigt. Am Motel hatten wir beschlossen, eine Pause einzulegen. Ich hatte mit Betty Puckett von der Lockaby High School telefoniert und anschließend geduscht, mich angezogen und begonnen, die Details aufzuschreiben – Ereignisse, Fragen und Gespräche. Danach hatte ich ein Gummiband um meine Karteikarten geschlungen und sie oben auf die Mordakte in der Schublade geworfen. Jetzt lagen sie darunter. Es schien nur eine Kleinigkeit zu sein, aber meine Erinnerung war eindeutig.
Mit einem Stift hob ich eine Ecke der Mordakte an, damit ich die Karten herausschieben konnte. Ich hielt den Stapel an den Kanten fest und löste das Gummiband. Die oberste Karte hatte ich anders herum abgelegt, als Gedächtnisstütze dafür, dass ich noch einmal mit Medora Sanders sprechen musste. Nun war die Karte umgedreht worden und lag genau so da wie alle anderen. Jemand war in meinem Zimmer gewesen. Jemand hatte die Mordakte in der Hand gehabt und meine Notizen gelesen.
Abrupt stand ich auf, fast als wäre mir durch den Sitz meines Stuhls ein Elektroschock verabreicht worden. Ich ging durchs Zimmer und musterte sorgfältig jeden Quadratzentimeter. Meine Reisetasche und das Album mit den Familienfotos befanden sich unangetastet im Schrank. Abgesehen von den Sachen in der Schublade war alles andere so, wie ich es in Erinnerung hatte. Hatte das Zimmermädchen aufgeräumt? Selbst wenn – warum sollte sie die Karteikarten lesen? Das Mädchen, das ich getroffen hatte, hatte ja kaum Englisch gesprochen. Es hätte aber auch eine andere Angestellte gewesen sein können. Vermutlich arbeiteten unter der Woche andere Frauen als an den Wochenenden. Vielleicht war das letzte Zimmermädchen, das mein Zimmer gemacht hatte, neugierig gewesen, hatte zugegriffen und gedacht, dass ich es nicht merken würde. Es fiel mir schwer, das zu glauben, aber ich konnte nichts anderes beweisen.
Ich band die Karten
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