Kiosk
Kippschalter.
Bevor er den Raum betritt, schaut er ihn an. Regale, Regale, voller Kisten und Papier, wie vertraut und zuwider ihm das ist. Er geht hinein, die Tür fällt hinter ihm zu. Er findet Jakobs Campingstuhl und setzt sich darauf. Jetzt ist er den Erinnerungen ausgesetzt, die er so lange gemieden hat. Sein Blick fällt auf den lose zugemauerten Durchbruch zum Trümmergrundstück nebenan. Jakob hat das nie in Ordnung gebracht und verputzt. Er war auf den Durchbruch stolz. Genau wie auf die Stützbalken, die – dick wie Eisenbahnschwellen – rechts und links noch immer die Decke abstützen.
»Soll jeder sehen, was das mal war. Können sie ja später ein Museum draus machen. Das wär was, wie? Haben oft genug hier gehockt, was, Hans-Karl? Weißt du noch? Die Luftschutzbetten an den Wänden, die Feuerspritze, das umgedrehte Bettgestell, in dem die Einmachgläser standen. Und für die alte Klempers aus dem zweiten Stock immer Würfelzucker und Baldrian. Weißte noch?«
Natürlich weiß er noch, dämliche Rhetorik. Wenn er die Augen ganz fest schließt, hört er noch das Sirenengeheul, das Ballern der Flak, den Hexentanz der Splitter auf den Dächern, das gleichgültige Wurrlen der zweimotorigen Bomber, das Fauchen der Brandkanister.
»Mann, hatte ich die Hose voll, wenn der Keller wackelte, und dann, wenn der Dachstuhl brannte, immer rauf mit der Klatsche. Das reinste Feuerwerk. Weißte noch, die Tausend-Bombernacht? Ab zweiundvierzig kannten die Tommys kein Pardon mehr, vorher, das war nur Feuerwerk. Wahnsinn, der ganze Horizont hat rot gefackelt, diese Hitze, ein einziger saugender Sturm, daß dir die Hosen geknattert haben. Wahnsinn, und wir nur mit paar Eimer Wasser und Feuerklatschen rauf.« Der Antiquar legt die Hand an den Mund.
»Das Adelchen hat’s dabei erwischt, sah scheußlich aus. Weißte noch, die lange Dürre vom Eierfranz gegenüber, ging schon zur Tanzstunde, hab ihr mal unters Nachthemd geschaut, als es nach oben ging. Die steile Dachstiege ragte direkt in die Flammen rein, taghell war’s. Und nix Entwarnung, ein Höllenlärm, die Luft hat gezittert und dazu das Pfeifen und Heulen der Bomben. Wahnsinn. Ich schwör’s dir, das Adelchen hatte drunter nichts an. Rannte los mit blankem Po.«
Gelogen, gelogen, gelogen, sie hatte auch kein Nachthemd an, sondern die BDM-Kluft. Tag und Nacht. Von Anfang an. Voller Vaterlandsliebe ist die gewesen und hat jedem mit Anzeige gedroht, der nicht fürs Winterhilfswerk spendete. An den Eintopfsonntagen hat sie an den Türen geklingelt und tatsächlich mit bebenden Nasenflügeln geschnüffelt, ob’s wirklich Eintopf gab und keinen Sauerbraten, scheinheilige Gans. Dreist war sie, vor allen Dingen dreist.
»Und dann rast der Bombensplitter ihr mitten ins Gesicht, das hat sie immer dick weiß mit Reismehl gepudert, roch nach Lavendel.« Unerträglich, wie er alles ausgeschmückt hat und Sachen erzählt, die da nicht hingehören. Es war doch die Hölle. Die riecht nicht nach Lavendel, nach verbranntem Fleisch riecht die – und nach Eintopf.
»Der Bombensplitter sah aus wie ein gezackter Drachenschwanz, ihre ganze Stirn war aufgeworfen wie ein Hügel, und da drin ein riesiges Loch, wie ein Krater. Wir haben trotzdem gelöscht. Das Feuer raste knarrend über jeden Balken, und wir immer Wasser rein, war wie Öl, kurzes Rauchen, und weiter hat’s gebrannt, weißte noch? Adelchen war meine erste Tote. Die erste ist immer die schrecklichste, danach zählste nur noch. Im Juni dreiundvierzig waren’s in einer Nacht achtunddreißig allein auf dem Kattenbug.«
O ja, Jakob konnte endlos so weitermachen, begeistert den Kattenbug wieder und wieder in Brand setzen und löschen.
»Schäng, pack de Pief us d’r Schnüß«, meldet sich mahnend eine ferne, tote Stimme. Das ist Jakobs Mutter, die immer Angst hatte, ihr Mann, der Johann, könnte sich bei einer Detonation, die die Kellerwände wackeln und Kalkstaub in Wolken herabrieseln ließ, an der Pfeife verschlucken. Ihrem Pimpf, dem Jakob, hat sie paar hinter die Löffel gegeben, daß es schallte, wenn er vor der Entwarnung raus wollte oder tagsüber in den Trümmern geturnt hat zwischen freischwebenden Wänden.
Schäng, also der Johann, sein Vater, war ein Gemütsmensch und Schlitzohr mit steifem Knie, noch aus dem ersten Krieg. Als er Ende zweiundvierzig, nach Stalingrad, dann doch ran mußte, direkt nach Rußland, hat er ein Schild in seine Ladentür – Feinste Tabakwaren – gehängt. Unter der
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