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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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erzählt, die sie ihm glauben wollte. Der Krieg hatte schon
    genug von ihren Träumen zerstört. War mal höhere Tochter gewesen, weizenblonde Zöpfe, Klavierspielen, Fechten, Reiten und all dieser Sums. Sie, die höhere Tochter, und ihr Vater höheres Parteimitglied, einer von den wenigen, die nach dem Krieg nicht mehr Tritt gefaßt haben, hatten vielleicht ein Gewissen. Seine höhere Tochter hat das nie verwunden.
    Der Jakob sollte es zu was bringen und schwadronierte ja auch schon wieder selbstbegeistert vor sich hin. Mal kaufte er sich ein rotschwarzkariertes Hemd, um Holzfäller in Kanada zu werden, mal lief er in Baskenmütze herum und gab den Bonvivant ab, der auf den Baustellen falschen Kaviar aß und Rotwein trank. Vor der Bauabnahme hat er meist Streit vom Zaun gebrochen und gekündigt. Besser, man nahm seine Schweißnähte nicht zu genau unter die Lupe.
    Viel später kam dann die schottische Phase mit Banjo und Whisky. Paßte wie Faust aufs Auge:
»A bottled companion always nearest to your hand,
perhaps to dull the memory, take away the sound,
the cries of young men dying
on a bloodstained ground.«
    1962 hat Jakob den Tabakladen von der Mutter übernommen und sein Examen zum Volkswirt abgebrochen. »Nur fürn Übergang«, hat er zu seiner ungeduldigen Frau gesagt, die seine Geschichten längst leid war. »Nur für ’n Übergang. Ein Kiosk ist ja auch so was wie Volkswirtschaft, oder?« Die Frau hat nicht drüber lachen können.
    Zwei Jahre später ist sie ihm fortgelaufen, nur weg vom Kattenbug. »Billiger Klümkesverkäufer« hat sie ihren Mann genannt und Szenen gemacht, die waren selbst dem Jakob zuviel. Zuletzt hat er ihr die frischgewaschenen Gardinen vom Fenster gerissen und gebrüllt: »Ich bin doch Prolet, ich brauch keine Gardinen.« Sind sich nichts schuldig geblieben, die zwei.
    Wie ein Fischweib hat sie daraufhin gekeift, alle haben es gehört. Hätte man nicht glauben sollen von der, war schließlich studierte Lehrerin, die höhere Laufbahn hat sie hinterher noch eingeschlagen. Unglückliche Frau, hat den Jakob beherrschen wollen statt lieben. Hübsch war sie schon, aber erbittert. Mit dem Kriegsende, sie war gerade achtzehn, war das einzige Leben, das sie je interessiert hatte, endgültig vorbei. Vielleicht hat sie den Jakob nur genommen, weil in ihrem Jahrgang die Männer so knapp waren. Der Antiquar nickt langsam.
    Gab eine Zeit, da hat er Jakob um sie beneidet. Wäre der Krieg nicht gewesen, Jakob hätte nie eine Frau wie die gekriegt, viel zu vornehm in ihrer Art.
    1964 ist sie verschwunden. Das Kind hat sie mitgenommen und so aufgehetzt, daß es nichts mehr mit dem Vater zu tun haben wollte, dem billigen Jakob. Dem hat es das Herz gebrochen, wenn seine Briefe ungelesen zurückkamen. »Annahme verweigert.« Sogar die Einschreibpakete kamen zurück. War tieftraurig für ihn. Für kurze Zeit jedenfalls, denn tatsächlich schlug sein Herz vor allem für den Kattenbug und die Menschen, die dablieben. Hinterhergerannt ist der Jakob keinem. Auch nicht dem eigenen Kind.
    Irgendwo müssen die hier sein, seine Briefe an das Kind. Der Antiquar fährt mit den Blicken die Regale lang. Papier, nur Papier, in Kisten, Pappdeckeln, Alben, Blechdosen. Er steht auf und geht zum Regal, legt den Kopf schief, zieht einen Leitzordner heraus. 1965 steht darauf und »Briefe«. Er blättert durch Rechnungen, Bauanträge für den Küchentrakt hinter dem Kiosk, Mahnungen. Da!
    Tatsächlich. Jakobs Briefe an das Kind. Er liest. Rührseliger Unsinn natürlich, Fantastereien, großspurige Versprechen, ganz der Jakob. Aber vielleicht mögen Kinder so etwas, der Antiquar kennt sich damit nicht aus. Er klappt den Ordner zu.
    1965. Das Kind muß damals vier Jahre alt gewesen sein. War nicht mal bei Jakobs Beerdigung.
    Aber jetzt steht es oben im Kiosk und ist eine junge Frau. Der Antiquar klopft eine Camel ohne Filter aus dem weichen Päckchen. Er mag keine Hardbox, nur die weichen Päckchen, weil das die waren, die die GIs ihm manchmal geschenkt haben oder getauscht gegen seine Abzeichensammlung vom Winterhilfswerk. Damals roch der Tabak nach süßen Pflaumen, heute schmeckt er krautig. Der Antiquar sitzt da und raucht. Nein, der Jakob ist keinem hinterhergerannt. Wer was wollte, mußte zu ihm kommen. Auf den Kattenbug.
    Der Refrain ihres Liedes geht ihm durch den Kopf:
    »It formed the pattern and the script for your remaining days.«
    Die schöne Stirn hat das Mädchen von der Mutter, aber die Augen – heiteres

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