Kiosk
Zigaretten-Reklame »Das raucht die Welt« hing das Schild: »Bin nur kurz weg bis zum Endsieg.«
Die Gestapo ist deshalb dagewesen, weil es im Viertel einige Hundertfünfzigprozentige gab, die hinter dem Schild einen unbotmäßigen Scherz vermuteten. Der Schäng war bekannt für so was, ein Meister des doppelbödigen Gesprächs. Er ist dann wegen des Schilds aus der Etappe, wo er Pferde gepflegt hat, direkt an die Front versetzt worden, Himmelfahrtskommando, trotz steifem Knie.
Der Antiquar nimmt an, daß der alte Krahwinkel den Schäng verpfiffen hat, schon weil der Schäng ihm sein Haus nicht verkaufen wollte, das dem Krahwinkel an der Häuserzeile noch fehlte. Der Antiquar irrt sich, aber das wird er erst später, in ein paar Tagen, erfahren, wenn es zu spät ist und er sich aus der Geschichte nicht mehr raushalten kann.
Jetzt taucht Jakobs Mutter wieder vor ihm auf. Die hat am Ende auch kein Blatt mehr vor den Mund genommen. Die Amerikaner standen schon kurz vor Bickendorf, immer noch regnete es Bomben auf die Ruine Köln, Tag und Nacht, als der Blockwart mit entsichertem Gewehr reinrannte und die Frauen zusammenschrie, sie sollten das Beten lassen, dem Führer vertrauen und ja keine Bettlaken raushängen.
»Sie, mit Ihrer umgehängten Kaffeemühle«, hat Jakobs Mutter gebrüllt, »machen Sie, daß Sie Land gewinnen, oder ich knall Sie mit dem Ding über den Haufen.« War ihr zuzutrauen.
Da war der Schäng gerade ein Jahr tot oder vermißt auf dem Rückzug irgendwo hinter Bialystock. Der betroffene Blockwart hat dem Antiquar das mit der Kaffeemühle und der Morddrohung später erzählt. Der Blockwart war sein Vater. Der Antiquar hat nicht zuhören wollen. Sein Vater hat das Pack vom Tabakladen immer gehaßt und wollte nicht, daß er hingeht. So genau weiß der Antiquar nicht, was am Ende hier im Keller geschah.
Die Wände stehen stumm. Durch ein Rohr gurgelt Abwasser. Lenchen hat oben den Boden geputzt. Der Antiquar schließt für einen Moment die Augen und lauscht in die Stille.
In seinem Kopf klingt die schottische Gitarre. »Some men are most attracted to a cause that can’t be won.« Jakob quasselt wieder los.
»Weißte noch, in Bad Zwischenahn im Gebüsch?« Das war im Frühjahr 1945. Sie beide stehen frisch an der Front, knapp sechzehn und froh darüber, das HJ-Messer endlich gegen richtige Gewehre eingetauscht zu haben. Sie ziehen mit einem Handkarren, auf dem ihr Maschinengewehr liegt, am morastigen Ufer des Zwischenahner Meers entlang. Nisten sich endlich ein im Gebüsch, hinter ihnen das Gelände, von dem früher V-Waffen abgefeuert worden sind. Gibt’s zwar keine mehr, aber ein paar Zentimeter deutschen Bodens wollen sie auch mal verteidigen. Sind ja eh schon spät genug dran. Plötzlich setzt Artilleriefeuer ein, Leuchtspurmunition perforiert den Himmel über dem See, dann durchlöchern britische Geschosse die Nacht. Granaten schlagen ein.
Jakob übernimmt wieder: »Dem Petersberger ist der halbe Kopf weggeflogen, und ich sag noch: ›Zieh den Schädel ein, du Depp.‹«
Zum Antiquar hat Jakob das gesagt, und der hat’s auch gemacht, genau wie Jakob, nur der Petersberger nicht, der die ganze Zeit von einem Kännchen Kaffee und der Nougattorte in einem Düsseldorfer Kö-Café geschwärmt hat.
»Wenn’s vorbei ist, geh ich schnurstracks hin, und dann wird schlampampert. Eine Nougattorte haben die. Rasant, sag ich euch, genau wie die Beine der Kellnerin.«
Jakob hat ihn gut leiden mögen, waren zwei vom selben Schlag. Vor jedem Gefecht haben sie sich die Bäuche vollgehauen mit der eisernen Ration oder was sonst so da war. Von einem verlassenen Bauernhof haben sie ein ganzes Rad Käse mitgehen lassen. Immer rein damit. Gierige, rohe Lebensfreude. Beide waren anders als der Antiquar, nur daß der, wie der Jakob, vom Kattenbug kam. Das hat den Ausschlag gegeben. »Zieh den Schädel ein.«
Nach dem Krieg und der Gefangenschaft haben sie dann erst mal überleben gelernt, dauerte ein paar Jahre und hat alle Gedanken geschluckt. Meist kreisten die nur um Brot – möglichst aus echtem Getreide, nicht aus amerikanischem Mais –, um Kohlen und Zigaretten. Jakob ist Heizungsmonteur geworden, wurde ja viel gebaut nach dem Krieg, später hat er dann Abitur gemacht und das Studieren begonnen. Das war in den späten Fünfzigern. Seine junge, hübsche Frau war sehr ehrgeizig. Monteur war ihr zuwenig, einen Akademiker mußte sie haben. Und der Jakob hat wie immer großartige Geschichten von sich
Weitere Kostenlose Bücher