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Kiosk

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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Deutschnationalen, die immer nur geredet haben. Schlag auf Schlag ging das, gründlich bis ins letzte Detail. Von Anfang an.
    März dreiunddreißig durfte das Pack schon nicht mehr auf Kölner Sportanlagen. Im April gab’s den ersten Judenboykott, und die Verwendung jüdischer Namen beim Buchstabieren am Telefon wurde untersagt. Jüdische Ärzte durften keine Deutschen mehr behandeln, also rassisch reine Deutsche. Im Mai wurde die Änderung jüdischer Namen in nichtjüdische verboten. Die Rechtsanwälte hat man kaltgestellt. In den Parkanlagen wurden die Bänke für Juden gelb gestrichen. Bauernhöfe durften die Itzigs auch nicht mehr haben. Im Kölner Schlachthof haben sie dem Metzger Katz das Fell gegerbt.
    Der eingebildete Schuhhändler Joseph von der Schildergasse wurde im »Westdeutschen Beobachter« endlich mal an den Pranger gestellt. Die musikalischen Ausflugsdampfer auf dem Rhein trugen flatternde Banner: »Kauft nicht bei Juden«. Das Regelwerk wurde immer dichter, die Aufklärung immer gründlicher. Wir hatten auch unseren Spaß. Im Karneval gab’s einen Schlager drauf:
»Hurra, mer wäde jetzt die Jüdde loß,
die ganze koschere Band,
Treck nohm gelobte Land.
Mir laachen uns für Freud noch halv kapott,
Der Itzig un die Sahra trecke fott.«
    Der Eierfranz hat mitgesungen, war ja kein Unmensch, sondern Frohnatur und Christ. »Na, hören Sie, konnte doch keiner wissen, daß Hitler die alle umbringen wollte. Wir dachten wirklich, die kämen in Arbeitslager.«
    Rose Quittländer, deren Familie sich rausgehalten hat, weiß nur noch, daß er dem vornehmen Herrn Doktor von der Roonstraße, der Adelchen 1929 kostenlos das böse Furunkel hinterm Ohr weggeschnitten hatte, noch rechtzeitig Bescheid gesagt hat, daß es bei dem bißchen Dresche vom neunten November nicht bleibt. Auch für einen wie ihn nicht. Da sieht man mal, wie dicke die’s immer hatten, hat der Eierfranz dabei allerdings gedacht, kostenlos behandeln, und unsereins mußte drum betteln. Und was er dabei riskiert hat, wenn das einer von den Kameraden mitbekommen hätte, nicht auszudenken.
    Der Doktor – wie hieß er noch? Rose Quittländer runzelt angestrengt die Stirn. Egal. Vergessen – er hat es jedenfalls nach Amerika geschafft und dem Eierfranz später in einem Brief für die Besatzer bestätigt, daß der ihn gerettet hat. Mit herzlichen Grüßen.
    Der alte Krahwinkel war natürlich noch ausgefuchster, hat immer seinen Schnitt gemacht, schon als Ortsgruppenleiter und später trotzdem den Persilschein bekommen, ohne große Verluste, ist in den Fünfzigern mit Parkplätzen groß geworden.
    Klein hat er angefangen mit einem Trümmergrundstück in der Innenstadt, einer Kette davor und einem Holzkabuff. Heute gehören ihm ein paar der größten Tiefgaragen in Köln. Und der Junior will jetzt also auch so ein Ding bauen. Aber auf dem Kattenbug? Rose wundert sich. Sie weiß das mit dem Hotel noch nicht und setzt sich in Gedanken noch einmal auf die verschwundenen Treppenstufen.
    Adelchen ist gestorben, bevor sie den Irrtum mit Hitler und Winnetou hätte bemerkt haben können. Hätte sie vielleicht nie. Kann keiner verstehen, der das nicht mitgemacht hat, weiß Rose Quittländer und denkt wieder an die Liebigbilder und an Koletschwasser. Das war ein Stück echtes, richtig echtes Süßholzlakritz vom Schäng, das sie mit Wasser in Hustensaftflaschen solange geschüttelt haben, bis das Wasser braun schäumte und speibitter war. Das schmeckte. War schon abenteuerlich, denkt Rose und fährt mit dem Finger sacht eine Mauerfuge lang. Zu schade, daß alles verschwinden soll. Zu schade.
    Nur gut, daß der Kiosk bleibt, jetzt wo Jakobs Tochter da ist. Nein, dieser Jakob, sinniert sie lächelnd, so ’n Gewächs gedeiht nur auf dem Kattenbug, verschlagen und rotzfrech, aber ein Herz wie Butter.
    Kwiatkowski sitzt oben beim Antiquar. Sie rauchen und reden mit langen Pausen dazwischen. »Das glaub ich nicht«, sagt der Antiquar kopfschüttelnd. »Das kann ich nicht glauben. Sie ist immerhin seine Tochter.«
    »Ist ihr ziemlich pünktlich eingefallen, oder?«
    Der Antiquar blickt unwirsch auf. »Wie meinen Sie das?« fragt er abweisend. Er will lieber in den Keller, da hat er gestern die Feldpostbriefe vom Schäng gefunden. Wundersame, ganz rare Briefe über ein Pferd, das er in der Etappe gepflegt hat. Mirsa hat er es genannt. Wie konnte er in all dem Schlamassel sein Herz an ein krankes Pferd hängen? Der Johann, Geschichten konnte der erzählen, richtige,

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