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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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geklaut, und dann ist er abgebrochen, doofe Ziege.« Die Haarsträhne fällt ihr vors Gesicht. »Ist das wahr?«
    Die Haarsträhne fliegt vorwurfsvoll nach hinten. Filou leckt Nikitas Finger ab, sie hält sie geduldig hin. »Kann ich in den Park mit dem Hund?«
    Karla überlegt kurz. »Wenn du willst, kannst du ihn den ganzen Nachmittag behalten und nachher zu mir bringen. Ich wohne da drüben, erster Stock, die zweite Klingel von unten.« Sie deutet mit den Fingern der Rechten zu den Appartements. »Ich glaube, ich habe noch ein paar alte Lippenstifte. Magst du Lila?«
    Nikita verzieht die Nase. »Lila ist doof.«
    Karla schmunzelt. »Finde ich auch. Ich hab auch andere.«
    »So 'n Rot wie von den Erdbeeren da ist schön.«
    »Möchtest du eine? Wenn du sie lange lutschst, wird die Zunge ganz rot.«
    »Nee«, Nikita schüttelt den Kopf. »Das is Kinderkram.«
    »Bis später.« Karla geht zurück in den Kiosk, wirft die zerfressene Serviette weg und wäscht sich am Waschbecken die Hände.
    »Das war sehr nett von Ihnen, Johanna«, sagt Lenchen gerührt und poliert weiter. »Tut mir leid, daß ich wegen der siebenneunzig für den Lippenstift so grantig war, konnt ich ja nicht wissen.«
    »Ich hätte dran denken müssen.«
    »Der Jakob, also mein Mann, der hat die Nikita auch gern gemocht. Mochte alle kleinen Mädchen. Was hat der denen immer für Geschichten erzählt. Sie hätten ihn mal hören müssen. So von Riesen und Zwergen, hatte eine ganz unglaubliche Phantasie. In Nikita war er ganz vernarrt. Die ist was Besonderes.«
    Karla räuspert sich. »Ja?«
    »Ich meine ... bei der Mutter! Sie haben sie doch gesehen vorhin. Zu schön ist eben schlecht. Hatte immer Flausen im Kopf. Hat jedem geglaubt, der längs kam und sagte: Ich mach dich berühmt. Berühmt, kennt man doch. Schlechter Umgang. Und dann ist sie ins Nachtleben abgerutscht.« Nachtleben! Wie Lenchen das sagt, denkt man an onkelhafte Millionäre mit Wirtschaftswunder-Zigarren im Mund und an dunkle Gestalten, die Erik Ode als Schwarzweiß-Kommissar bequem zur Strecke bringen konnte. Bei einem Glas Racke Rauchzart. Lenchen ist in den späten 60ern steckengeblieben. Geht manchen Menschen so, ab einem gewissen Punkt haben sie genug erlebt für den Rest des Lebens, was dann kommt, ist Wiederholung.
    Am Kiosk wiederholt sich eine Menge, nur die Getränke wechseln. Schnaps und Bier gehen immer, früher war mit Asbach noch ein Geschäft zu machen, dann kamen Cocktails, die Hausfrauen brauchten ihren Pikkolo für den Kreislauf, die Witwen Edelkirschlikör, die Apartment-Singles bevorzugen Prosecco in blauen Flaschen. Wein läuft auch gut.
    »Aber Nikita«, sagt Lena sinnierend, »Nikita ist was Besonderes. Jakob hat sogar mal drüber nachgedacht, ihre Mutter mit in den Kiosk zu nehmen, damit sie von diesen Junkies und dem ganzen Volk wegkommt. Verkaufen kann die nämlich, das sag ich Ihnen, da ständen die Leute Schlange. Aber das Nachtleben hat sie verdorben.« Daß Nikitas Mutter inzwischen von Einbauküchen träumt, kann sie nicht wissen.
    »Unternimmt das Jugendamt denn nichts?« fragt Karla.
    »Jugendamt, wieso?«
    »Wegen Nikita, die muß da doch raus.«
    »Ach was, sie liebt Nikita. Nikita ist ihr ein und alles, ohne das Mädchen wäre sie ganz abgerutscht.«
    »Fragt sich, ob diese Art von Liebe dem Mädchen gut tut.« Lena schüttelt verblüfft den Kopf. Um Ämter macht unsereins besser einen Bogen. »Das Mädchen liebt seine Mutter doch auch. Man kann sich seine Eltern ja nicht aussuchen. Außerdem ist Nikita sehr klug, hat sie von Pjotr, dem Vater. Kann gut auf sich aufpassen, das sag ich Ihnen.«
    »Und wo ist der Vater?«
    »Ist nicht mehr, hat bißchen viel was genommen, Sie wissen schon.«
    »Klingt nicht besonders klug.«
    Lenchen zuckt die Achseln. »Sie können keinem hinter die Stirn schauen, immer nur vor den Kopf. Wäre vielleicht ein guter Vater geworden, hat eine schöne Wohnung gemietet, vorne neben dem Stuckhaus. Die Russen sind so gefühlvoll, wissen Sie? Nur ein bißchen haltlos. Früher hat Jakob die Nikita manchmal zu uns genommen. Aber seit er tot ist, schaff ich das nicht mehr.« Sie wendet sich wieder den Flaschenregalen zu. »Aber jetzt hat sie ja den Hund und Sie. Tut ihr gut, Johanna. Wär schön, wenn Sie 'ne Weile bleiben. Auch für mich.« Der Wald fällt ihr wieder ein, sie dreht sich weg.
    Karla schiebt die Eistruhe auf, ruckelt nervös die eisbereiften Kartons mit den Hörnchen und dem Magnum zurecht. Der aufsteigende Frost

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