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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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manchmal mit morscher Stimme. »Ich hatte Angst um dich. Du warst ihm zu ähnlich. Immer so großzügig mit dem Geld und deinen Gefühlen. Er hat es damit zu nichts gebracht im Leben.«
    Großzügig. Sie ist also großzügig? Nicht gut genug fürs Leben, aber großzügig? Warum hat die Mutter ihr das erst so spät gesagt, zu spät? Letzte Worte, allerletzte und vom Jakob nur alte Briefe.
    »Mein liebes kleines Mause-Mädchen«, beginnen sie alle. »Ich denke jeden Tag an Dich. Vor allem, wenn ich die Gläser mit den Erdbeeren nachfülle. Ich schicke Dir bald ein Paket davon. Wenn Du groß genug bist, kannst Du mich ja besuchen. Die Tante Quittländer fragt nach Dir, alle vermissen Dich, am meisten Dein Papa, der Dich fest drückt. Wir wollen irgendwann eine große Küche bauen. Mit einem Kamin, da kann ich Dir dann Geschichten erzählen. Von der kleinen Riesin Gernegroß, erinnerst Du Dich an die? Die grüßt Dich auch.«
    Ein dreiviertel Jahr hat er solche Briefe geschickt, die Mutter hätte sie vorlesen müssen, Karla war doch erst vier, dann kamen keine mehr. Ihm muß sie auch verzeihen, dabei hat sie ihn nicht mal richtig gekannt.
    Der Antiquar will ihr gern von ihm erzählen, aber es fällt ihm schwer, über Jakob als Vater zu berichten, da gibt es ja nichts zu erzählen, und dazu erfinden möchte er nichts. »Die Quittländer kannst du fragen«, schlägt er mürrisch vor. »Die kannte ihn von klein auf. Wir waren ja nur so was wie Freunde.«
    »Ist die Quittländer denn noch ganz klar oben?« hat Karla gefragt.
    »Die ist glasklar. Ob sie was erzählt, ist eine andere Sache.«
    Die Quittländer flaniert nach dem Gottesdienst im hellen Sonntagshut über den Kattenbug, bleibt bei der Baustelle stehen. Wie ärgerlich, daß jetzt sogar die Steine vor ihr verschwinden. Verdrehte Welt. Die Häuser wenigstens sollten haltbarer sein als die Menschen und ihre Erinnerungen. Je älter sie wird, desto deutlicher werden die Erinnerungen. Da, wo jetzt eine Piste aus Lehm und Geröll entstanden ist für den Bagger, da, wo die Bretterwege für die Schubkarren liegen, hat sie mal gesessen, auf Treppenstufen, die Häkelröcke haben am Hintern gekratzt, und im Haar trug sie sonntags eine knisternde Taftschleife. War die Nummer achtzehn vorm Krieg, so 1930, war der Laden vom ollen Korinthenberg, der Glas und Kerzen verkauft hat. Solche für die Kommunion mit der schwarzen Madonna drauf oder dem heiligen Sankt Pantaleon und honiggelbe aus Bienenwaben.
    Mit dem kleinen Adelchen vom Eierfranz hat sie auf den Stufen gesessen und alte Liebigbildchen getauscht, Indianer gegen Neger aus Deutsch Südwestafrika oder neue glänzende Kassabildchen, Engel gegen Feen. Die leeren Zigarrenkisten für die Glanzbilder hat ihnen der Schäng von nebenan geschenkt. Gott, wie rochen die aufregend, nach Tropen eben. Gerüche, Liebigbilder und später Karl May aus der Leihbücherei ersetzten jede Reise, war schon abenteuerlich.
    Für Adelchen war der Führer edel wie Winnetou, das stand fest. Sie hat später in der Laienspielschar vom BDM immer die germanischen Heldinnen spielen dürfen, die Gudrun, die Kriemhild, dabei war sie doch so klapperdürr und nicht mal blond. Rose war ein bißchen neidisch darüber, aber auch schon zu alt für solchen Kinderkram, dafür durfte sie als Scharführerin die Fahne tragen, den ganzen Kattenbug rauf bis in die Innenstadt. Ein bißchen was hat eben jeder davon gehabt, wenn er sich der nationalen Bewegung anschloß.
    Je früher, um so mehr wie Adelchens Vater, der Eierfranz. Adelchen war gerade elf, als der Führer drankam, und dem Eierfranz ging’s geschäftlich bald besser, weil die Ortsgruppe bei ihm kalte Platten bestellte und Mayonnaisesalat. Er hätte das so erzählt, wenn die Niederlage ihm nicht den Mund gestopft hätte:
    »Mir ging’s nach fünfunddreißig gut, das hat der Hitler geschafft. Wenn auch nicht so gut wie dem Korinthenberg mit seinen unnützen Kerzen und dem piekfeinen Glas. Den hab ich nie leiden können, aus persönlichen Gründen. Nach achtunddreißig erst recht nicht, da fiel es mir überhaupt wie Schuppen von den Augen, und ich hab sie alle gehaßt, die koschere Bande. Auch die, von denen man gar nicht gewußt hat, daß sie Juden waren, saßen ja sonntags mit in der Kirche, sogar auf den besseren Plätzen vorn bei der Kanzel. Der Jude ist ein Täuscher vor dem Herrn. Das mußte einem ja erst mal gesagt werden. Aber die Partei hat hart durchgegriffen, anders als die anderen sogenannten

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