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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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essen, da darf er nicht mit.«
    »Muß ich was essen?«
    Die Mutter lacht, den Kopf zurückgeworfen, affektiert und viel zu laut und schaut dabei dem Mann ins Gesicht. »Ist sie nicht süß? Total süß? So ein süßes Kind, macht gar keine Mühe. Kinder sind immer so lustig, du glaubst gar nicht, wieviel man mit ihr zum Lachen bekommt. Wirste sehen.«
    Der Mann sagt nichts. Die Mutter redet verunsichert weiter auf Nikita ein. »Schätzelein, natürlich mußt du essen, wir alle müssen jetzt was essen.« Sie gurrt wie die Tauben auf den Dächern.
    Die Mutter schaut den Mann unter den Augenwimpern hervor an. »Nicht wahr, wir sind sehr, sehr hungrig.« Sie denkt an die Nächte im Bett, an eine größere Wohnung mit solider Einbauküche. Irgendwann muß ihr Glück doch anfangen. Pjotr hat ihr das alles versprochen, aber sie schlägt sich noch immer mit der Sozialhilfe und miesen Fotojobs für Fitneßstudios und zweifelhafte Wäschekataloge durch, lange geht das so nicht mehr, sie will anständig werden wie die anderen Nachbarn aus dem Festungshaus. Das muß doch zu schaffen sein.
    »Und du bist der hungrigste von allen«, raunt sie dem Mann zu, viel zu laut.
    Er beißt ihr in die Lippe beim Kuß, stößt roh mit der Zunge nach. Sie kichert peinlich. Sie glaubt, ihr Kichern bereitet dem Mann Freude, macht alles lustvoll, auch die obszöne Geste des Dachdeckers hinter dem Metzgerfenster. Nikita sieht, daß ihr Kichern dem Mann gleichgültig ist. Bestenfalls. Noch.
    Nikita läuft mit Filou zum Kiosk zurück.
    »Ich hol ihn gleich wieder, muß nur was essen«, sagt sie und ist wieder weg. Karla schaut kurz auf.
    Lenchen putzt Flaschen und denkt an die kleine Wohnung, die sie sich kaufen wird. Irgendwo im Grünen, nicht zu teuer, mit Blick auf einen Wald, dunkles Grün, das beruhigt sie. Liebevoll poliert sie das braune Glas einer Rotweinflasche und versucht, sich den Wald vorzustellen. Kiefern mag sie, und hochgewachsene Fichten mit rotbraunen Stämmen und dieses Schuschu der Eulen darin. Wenn sie bescheiden lebt, dann hat sie bald ausgesorgt, und bescheiden leben kann sie. Sie stellt zufrieden die Flasche zurück ins Regal, nimmt die nächste hervor. Bescheiden ja, aber so ganz ohne Arbeit? Leise Zweifel steigen in ihr hoch.
    Sie sieht zu Karla hinüber, die an der Eistruhe steht und lustlos in einem Metro-Katalog blättert. Könnte sich auch mal nützlich machen. »Sind genug Coladosen und Punica im Eisschrank? Wird warm heute«, befiehlt sie vage, mehr liegt ihr nicht.
    »Hab vor einer halben Stunde nachgefüllt«, sagt Karla ohne aufzuschauen. Sie ist in Gedanken bei ihrem Konto, sieht düster aus, fast so, als könnte ihr nur noch dieses Preisrätsel hier helfen. »Gewinnen Sie 10 000 Mark in bar. Beantworten Sie folgende Frage: Was schmeckt so süß an Toffifee?«
    Sie klappt den Katalog zu. Nichts geht voran. Nicht am Kattenbug, nicht in ihrem Leben. Eine halbe Stunde verstreicht, und kein Kunde kommt vorbei. Sonntagmittag eben. Tranige Stille. Sie beugt sich über die Theke, schaut nach draußen. Ihr Blick tastet sich an den Hausfassaden nach oben. Über der Gasse wölbt sich ein Himmel wie getuscht und aus einer übermütigen Laune heraus entworfen. Ein so heller Himmel ist selten. Für einen Moment löst sich aus ihrer Brust dieser hart geballte, vertraute Schmerz, entfaltet Schwingen und folgt einer Schwalbe nach, die hoch oben gleitet.
    So muß das mit den Engeln sein oder dem Tod.
    Karla ängstigt die plötzliche Leichtigkeit, sie glaubt zu zerfließen wie die kleine Meerjungfrau, fürchtet das Loch in der Brust, wo plötzlich nichts mehr ist. Sie taucht wieder ab in das Dunkel des Kiosks. Eisige Ränder bilden sich um das Loch, der Schmerz kehrt als zähes Rinnsal zurück, verfestigt sich. Lieber einen verläßlichen Irrtum leben. Es kann nicht schlimmer werden, als es meistens war.
    »Stell dich nicht so an, jeder Mensch ist allein«, sagt die Mutter in ihrem Kopf.
    Nikita taucht wieder vor dem Fenster auf, in der Hand eine fettige Papierserviette mit einem Anker darauf. »Ich habe Filou was mitgebracht.« Der Hund ist schon auf den Beinen und läuft kläffend zur Tür.
    Karla öffnet und läßt ihn hinaus. »Das ist nett von dir«, sagt sie zu Nikita, die auf dem Pflaster hockt und Filou mit Schweineschnitzel füttert.
    »Ich hab den Lippenstift verloren.« Lenchen hört es und verharrt lauschend mit einer Flasche in der Hand.
    »Verloren?« fragt Karla nach.
    »Die Marion Kratz hat ihn mir in der Pause

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